Die Kommissarin und der Tote im Fjord
irrst.«
» Follow the money «, sagte Frølich grinsend. »Schade, dass hier kein Geld im Spiel ist, dem man folgen könnte.«
» Follow the white rabbit «, sagte Gunnarstranda und stand auf. »Ich brauche was zu essen.«
DIENSTAG, 15. DEZEMBER
1
Auf dem Tisch standen eine Karaffe mit Wasser, ein paar Plastikbecher und eine Schale mit Twist-Konfekt. Lena widerstand der Versuchung, sich ein Stück Schokolade zu nehmen, obwohl ihr Favorit mit Kokosfüllung im grünen Papier ganz oben lag.
»Was ist denn eigentlich so schwierig, ganz konkret?«, fragte sie und ließ den Blick vom Konfekt zu der Frau wandern, die ihr gegenübersaß.
Soheyla Moestue war in Lenas Alter und hatte indische oder pakistanische Wurzeln. Das schwarze Haar fiel ihr in sanften Wellen über die Schultern. In ihrem schmal gestreiften Hosenanzug mit der kurzen, engen Jacke über einer signalroten Bluse machte sie eine ausnehmend gute Figur. Die Kleidung ließ sie feminin erscheinen und verlieh ihr zugleich Autorität. Lena wünschte sich, mehr von der Fähigkeit mancher Frauen zu besitzen, Weiblichkeit und Kompetenz zugleich auszustrahlen.
»Nichts weiter als dass es Sache des Ethikrats ist, eventuelle Informationen weiterzugeben. Der Inhalt unserer, das heißt der Recherchen des Sekretariats, ist streng geheim. Ich weiß nicht, woher Sie wissen, dass Sveinung diese Firma MacFarrell Ltd. unter der Lupe hatte. Ich wusste davon nichts. Aber es ist durchaus möglich. Wir haben ständig mit Firmenportfolios zu tun, und mit den Grenzfällen verbringen wir besonders viel Zeit. Aber …« Die dunkelhaarige Frau schüttelte zweifelnd den Kopf, ohne den Satz zu Ende zu bringen.
Lena konnte der Versuchung nicht mehr widerstehen. Sieschnappte sich das Schokoladenbonbon, das ganz oben lag, und schälte es aus dem grünen Papier.
»Tut mir leid«, sagte sie und steckte es in den Mund. »Das sind die Einzigen, die ich mag. Manchmal bringe ich es fertig, eine ganze Tüte Twist zu kaufen, nur um die Kokosteile zu essen. Das Schlimme ist, dass es davon offenbar immer weniger gibt. In der letzten Tüte, die ich gekauft habe, habe ich nur zwei Stück gefunden.«
Soheyla Moestue durchsuchte die Schüssel. »Ich mag die Lakritze am liebsten«, sagte sie. »Aber die sind immer schon weg, wenn ich komme.« Sie schob die Schale enttäuscht von sich.
»Ich habe Sie unterbrochen«, sagte Lena. »Sie sprachen von den Grenzfällen, die Sie viel Zeit kosten.«
»Genau. Ich wollte sagen, dass das alles so konstruiert wirkt. Sveinung war ein kleiner Angestellter – genau wie ich. Es wirkt überzogen, dass seine Arbeit etwas mit seinem Ertrinken zu tun haben sollte. Wenn Sie von Firmen mit Beziehungen zu Westsahara sprechen, dann höre ich zwischen den Zeilen irgendwie die Vermutung, dass Sveinungs Tod etwas mit krummen Geschäften und politischen Verschwörungen zu tun haben könnte. Das ist …« Soheyla schüttelte den Kopf. »Das ist vollkommen verrückt! Wer beim Ölfonds etwas erreichen will, ob es nun Investitionen sind oder whatever , der muss sich weiter oben in der Pyramide umsehen. Entweder direkt gegen Leute vom Fonds arbeiten, oder, wenn es darum geht, schon gefassten Beschlüssen entgegenzuwirken, zum Beispiel den Fonds dazu bewegen, sich aus Firmen wieder herauszuziehen. Es würde eher Sinn machen, den Ethikrat direkt zu beeinflussen oder die Politiker im Parlament oder am besten im Ministerium.«
Lena nickte. Das klang nachvollziehbar. Beschlüsse wurden schließlich auf politischer Ebene gefasst, nicht in einem Sekretariat.
»Was ich Ihnen erklären möchte ist, dass ein verdammt langer Parcours zwischen dem liegt, was Sveinung bei der Arbeit tat, und dem Beschluss, den der Ölfonds eventuell in einer Sache fasst.« Die Frau entblößte eine Reihe makellos weißer Zähne, als sie herablassend lächelte.
»Immer noch off the record und immer noch ganz unter uns: Zu glauben, dass Sveinungs Arbeit hier im Sekretariat seine Sicherheit gefährdet haben könnte, ist schlicht und einfach Unsinn. Und das sagt Ihnen jemand, der genau den gleichen Job macht, wie Sveinung ihn gemacht hat. Ich habe mich hier noch niemals bedroht gefühlt und alle anderen, glaube ich, ebenso wenig.«
Lena dachte einen Moment nach. Die Frau hatte natürlich Recht. Sveinung Adeler war nur ein kleiner Sekretär gewesen, der gerne Ski lief. Aber, dachte Lena, Aud Helen Vestgård saß nicht unten in der Pyramide. Sie saß im Parlament – im Finanzkomitee.
Steffen Gjerstad
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