Die Kommissarin und der Tote im Fjord
einmal gerettet hat. Aber sie ist erschöpft, spürt einen Krampf im Unterarm. Ihre Finger sind dabei, abzusterben, und sie traut ihrer eigenen Kraft nicht mehr.
Endlich findet sie den Zweig und stößt sich mit beiden Beinen ab. Fühlt, dass sich der Schwerpunkt ihres Körpers verlagert. Jetzt ist der Winkel auf ihrer Seite. Sie kann loslassen, ohne zurück zu rutschen, aber sie traut sich noch nicht.
Schweißnass trotz der Eiseskälte krabbelt sie durch den Schnee, zurück zum Auto.
5
Die Stirn an die Kacheln gelehnt, ließ sie das heiße Wasser über ihre Schultern laufen. Das Wasser formte ihr Haar zu einem schweren nassen Zopf und lief weiter den Rücken hinunter, während sie mit offenem Mund atmete und versuchte, ihren Körper unter dem Wasserstrom wieder zusammenzusammeln, dort wo die Strahlen aus dem Duschkopf am dichtesten waren. Das Wasser konnte ihr gar nicht heiß genug sein. Es dampfte, aber sie drehte es noch heißer und spürte, dass es fast schmerzte, wenn es die Schürfwunden traf, die Hautrisse und steifen Muskeln. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie unter der Dusche gestanden hatte. Das einzig Wichtige war, dass das laufende Wasser linderte und den Dreck wegwusch, der sich in ihren Gedanken angesammelt hatte. Sie öffnete die Augen, sah vage ihre eigene Haut im Dampf rot schimmern und dachte: Ist es möglich, sich zu verbrennen, ohne Schmerzen zu empfinden? Sie gab sich die Antwort selbst. Nein. Sie wiederholte diese Antwort, als das Telefon klingelte. Sie ließ es klingeln. Dachte nur: Wer ruft jetzt an, heute? Wer vermisst mich? Sie drehte das Wasser noch heißer, biss die Zähne zusammen, um nicht zu schreien, bis sie es nicht mehr aushielt und das Thermostat auf ganz kalt drehte. Eiskalt strömte es über ihren Körper, ohne dass sie den Schock spürte. Sie stellte nur fest,dass der Wasserstrahl kalt war. Sie hob das Gesicht und ließ das Wasser laufen, fest überzeugt davon, dass die Kälte sämtliche Gefühle in der Haut ausmerzen würde. Doch das geschah nicht. Statt dessen begann sie zu zittern. Das hier geht nicht, dachte sie und drehte das Wasser ab. Blieb stehen und rang nach Atem, als hätte sie gerade einen Sprint hingelegt. So stand sie an die Glaswand gelehnt, bis ihr Atem sich wieder beruhigt hatte. Dann stieg sie aus der Duschkabine und betrachtete im Spiegel Zentimeter für Zentimeter ihres Körpers. Ein Riss über dem Auge. Dafür ließe sich eine Erklärung finden. Schlimmer war die Verletzung über dem Ohr. Sie hatte Schürfwunden auf dem Bauch und an den Hüften und ein rotes Hämatom über den Schulterblättern. Sie ließ sich Zeit. Cremte sich ein.
Was ist heute Morgen eigentlich passiert? Er hatte sie auf den Kopf geschlagen, hatte in der Wohnung auf sie gewartet, sie mit Alkohol übergossen. Warum?
Wahrscheinlich, um sie betrunken aussehen zu lassen, sie die Treppe hinunter nach draußen zu bekommen …
Er hat auf mich gewartet, dachte sie. Er hat in Steffens Wohnung gewartet.
Sie saß auf dem Rand der Badewanne und cremte ihren Körper ein, als das Telefon wieder klingelte.
Sie stand auf. Stellte die Cremedose ab. Ging aus dem Badezimmer zum Telefon, das nicht aufhören wollte zu klingeln. Sie nahm ab.
»Gunnarstranda.«
»Warte kurz«, sagte Lena schnell.
»Ja?«
Lena sammelte sich. »Du bist aus Stockholm zurück?«
»Grade gelandet. Dachte, ich würde gern mit dir sprechen, aufdröseln, was an der Reise eigentlich wichtig war, statt einen Aufsatz zu schreiben.«
»Wir können ja jetzt ein bisschen dröseln.«
»Rindal hat angerufen und von dem Kind erzählt, das Vestgård mit Shamoun hat. Also hab ich das Thema angesprochen. Und eine etwas überraschende Antwort bekommen. Shamoun zufolge hat Vestgård ihn gebeten, Adeler gegenüber nicht zu erwähnen, dass die beiden ein Kind miteinander haben.«
Lena spürte, wie sehr sie die Intrigen dieser Frau satthatte.
»Ich bin der Ansicht, dass sie immer noch mit irgendetwas hinter dem Berg hält«, sagte Gunnarstranda.
Lena antwortete nicht.
»Warum bist du zuhause?«
»Hab verschlafen«, sagte Lena schnell. »Bin gestern auf der Loipe auf die Nase gefallen.« Sofort bereute sie ihre Wortwahl. Das war die Entschuldigung, die sie eigentlich später benutzen wollte.
Gunnarstranda schwieg etwas zu lange. Natürlich witterte der alte Fuchs irgendetwas.
»Was war da los?«
»Hm?«, meinte Lena unschuldig.
»Auf der Loipe.«
»Darüber können wir später sprechen«, sagte Lena knapp. »Ich bin grad auf
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