Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kompanie der Oger

Die Kompanie der Oger

Titel: Die Kompanie der Oger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Lee Martinez
Vom Netzwerk:
dunkle Nacht, aber sein langer Bart verriet Owens, das Orakel. Er ging zum anderen Ende des Turms, und obwohl er blind war, schien er auf die umgebende Landschaft hinabzusehen. Ned versuchte, nicht laut zu atmen, und eine Minute lang gelang es ihm auch bewundernswert. Dann arbeitete sich ein Kitzeln in seine Nase und Ned spürte, wie ein Niesen in ihm heraufkeimte. Er schauderte und versuchte, es zu ersticken. Er hielt den Atem an. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis er den Kampf mit seinen verräterischen Nasenlöchern verlor.
    Owens starrte weiter an den Horizont. Ohne den Kopf in Neds Richtung zu drehen, bemerkte das Orakel: »Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie niesen würden. Gesundheit, Sir.«
    Ned wischte sich die Nase mit dem Handrücken ab. »Danke.«
    Owens nickte nur.
    Ned bemerkte einen kleinen Krug, der an Owens Gürtel hing. Er fragte sich, was darin war. »Bier, Sir«, sagte Owens.
    Ned wollte gerade um einen Schluck bitten, als Owens den Krug warf. Er zielte einen guten Meter daneben. Ned musste aufstehen, um ihn zu holen. Er entkorkte ihn und nahm einen Schluck. Bevor er Owens danken konnte, sagte das Orakel: »Gern geschehen, Sir.«
    Ned nahm einen weiteren Schluck und runzelte die Stirn. »Das ist wirklich …«
    »Ja, Sir. Ich weiß.«
    Ned gab den Krug zurück und Owens nahm einen herzhaften Schluck.
    »Ich liebe es, nachts hier heraufzukommen, Sir. Wundervolle Aussicht, finden Sie nicht?«
    »Zu dunkel, um irgendwas zu sehen.«
    Owens kicherte. »Das ist einer der Vorteile, blind zu sein. Die Aussicht ist immer gleich.«
    Ned öffnete den Mund, um zu fragen, wie lange es her war, dass der Soldat sein Sehvermögen verloren hatte.
    »Sieben Jahre«, antwortete das Orakel.
    In diesem Augenblick bemerkte Ned etwas, und weil er selten etwas bemerkte, brachte es ihn aus der Fassung. Beobachtungen waren das sichere Zeichen eines nüchternen Geistes. Er hätte beinahe um einen weiteren Schluck gebeten, entschied jedoch, es diesmal zu überstehen. Er konnte sich später, wenn es zu unerfreulich wurde, immer noch betrinken.
    »Sie hören die Zukunft, nicht wahr, Owens?«
    »Ja, Sir.«
    »Aber wie können Sie eine Frage hören, die allein durch die Tatsache, dass Sie sie hören, nie ausgesprochen wird?«
    »Ich fürchte, ich verstehe diese Frage nicht, Sir.«
    »Welcher Tag ist…«
    »Mittwoch, Sir.«
    »Sehen Sie, was ich meine?«, fragte Ned. »Ich wollte Sie fragen, welcher Tag heute ist, aber Sie haben geantwortet, bevor ich die Frage beendet hatte, was bedeutet, dass ich nie gefragt habe, was wiederum bedeutet, dass Sie die Frage gar nicht gehört haben konnten, weil sie in Wirklichkeit nie gestellt wurde. Sie hören eine Zukunft, die nicht existiert.«
    Owens dachte darüber nach. »Ziemlich paradox, was?«
    »Ein bisschen schon«, sagte Ned.
    Ein paar stille Minuten vergingen.
    »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich eine Frage stelle, Sir?«
    »Fragen Sie ruhig.« Ned kannte die Frage so sicher, als könne er die Zukunft hören. Wie sprang er dem Tod von der Schippe? Als ob Unsterblichkeit irgendein besonderer Gewinn war.
    »Wie zum Geier haben Sie diesen Job bekommen?«, fragte Owens.
    Das hatte Ned nicht erwartet, und es war eine angenehme Überraschung.
    »Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Sir«, fügte Owens hinzu.
    »Schon in Ordnung.« Ned kicherte. »Ich bin hier, weil es keinen anderen Ort gibt, wo ich hingehen könnte.«
    »Genauso wie wir alle, hm?« Owens neigte seinen Kopf in Neds Richtung. »Willkommen in der Oger-Kompanie, der letzten Station Ihrer glänzenden Legionskarriere. Naja, ich schätze, es ist nett, einen Ort zu haben, wo man hingehört.«
    Ned brachte es nicht übers Herz, Owens zu sagen, dass die Kompanie geradewegs auf die Auflösung zuraste. »Sie wollen nicht hier sein, oder, Sir?«
    »Nein. Ich will Bücher saldieren.«
    »Scheint mir eine Verschwendung von Talent zu sein, wenn Sie mich fragen. Wegen Ihrer Unsterblichkeit und so, Sir.«
    »Unsterblichkeit ist kein Talent«, antwortete Ned. »Es ist eine Spielerei.«
    »Vielleicht«, stimmte Owens zu. »Vielleicht.«
    Eine weitere Stille folgte.
    »Darf ich Ihnen einen Rat geben, Sir?«
    Ned antwortete nicht laut. Aber er dachte an seine Antwort und stellte sich vor, wie er sie formulierte. Owens hörte die unausgesprochenen Worte bis in jede Einzelheit formgetreu.
    »Solange Sie hier sind, könnten Sie genauso gut das Beste daraus machen.«
    »Sie verstehen nicht. Ich bin ein furchtbarer Soldat, und ich bin ein noch

Weitere Kostenlose Bücher