Die Komplizin - Roman
nach Spuren? Selbst wenn, konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie irgendetwas Relevantes finden würden. Aber was war mit seiner Leiche? Reichte nicht ein einzelnes Haar von mir oder eine Faser meines Pullis? Andererseits wussten sie ja, dass wir etwas miteinander gehabt hatten. Wenn ich einfach bei meiner Geschichte blieb und alles leugnete, was sie mir zur Last legten, war ich bestimmt auf der sicheren Seite. Wobei ich natürlich Neal und Sonia nicht vergessen durfte. Wir waren nur so stark wie unser schwächstes Glied, und das war zum Glück zweifellos ich selbst.
Ich wusste, dass die Polizei bereits mit den anderen gesprochen hatte. Was hatten sie gesagt? Spielte das überhaupt eine Rolle? Ich konnte nicht einschätzen, ob die Polizei bei ihrer Arbeit von einer Theorie ausging oder einfach nur alle Leute befragte, die Hayden einst gekannt hatten, und hoffte, dass dabei etwas herauskam. Ich vermutete, dass ich ihnen ein bisschen
suspekt war, aber hielten sie mich deswegen gleich für Haydens Mörderin? Oder für die Frau, die den Wagen gefahren hatte? Oder für beides? Vielleicht trauten sie mir ja das eine zu, nicht jedoch das andere? Und wie sahen solche Ermittlungen langfristig aus? Wurden sie endlos weitergeführt, oder verliefen sie irgendwann einfach im Sande? Ich hatte mal irgendwo gehört oder gelesen – oder vielleicht auch in einem Fernsehkrimi gesehen –, dass ein Mord entweder in den ersten vierundzwanzig Stunden aufgeklärt wurde oder aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht. Entsprach das der Wahrheit, oder handelte es sich dabei nur um eine Legende? Letztendlich wusste ich nicht allzu viel, und das meiste von dem, was ich zu wissen glaubte, entpuppte sich als Irrtum, sobald ich irgendwo genauer nachhakte.
Vor allem – oder unter allem – gab es da ja noch die Person oder die Personen, durch deren Hand Hayden gestorben war und deren Spuren wir verwischt hatten. Was ihr oder ihnen wohl durch den Kopf gegangen war, als die Leiche nicht in der Wohnung, sondern erst viel später in einem Stausee auftauchte? Wie verhielten sich solche Menschen in einer derartigen Situation? Unternahmen sie etwas, oder ließen sie den Dingen einfach ihren Lauf? Handelte es sich womöglich um eine Person aus Haydens Vergangenheit, von der ich nie etwas gehört hatte? Oder um jemanden, den ich kannte? Starrte mir die Wahrheit die ganze Zeit ins Gesicht, ohne dass ich es merkte? Dabei war die Frage, wer Hayden getötet haben könnte, noch die am wenigsten rätselhafte von all den Fragen, die ich mir stellte. Die Antwort lautete, dass als Mörder jeder infrage kam, der ihn gekannt hatte, weil das in Haydens Fall als Mordmotiv schon ausreichte. Das war genau das Problem. Ich hätte es tun können . Im richtigen Moment, nach dem richtigen Streit und mit dem richtigen schweren Gegenstand in der Hand wäre das keineswegs ausgeschlossen gewesen. Was würde Gott dazu sagen? Vielleicht war die Tatsache, dass ich
dazu in der Lage gewesen wäre – falls man das überhaupt eine Tatsache nennen konnte –, genauso schlimm, als hätte ich es wirklich getan.
So saß ich also in meiner unfertigen – beziehungsweise erst ansatzweise renovierten – Wohnung und stellte mir Fragen, die ich nicht laut auszusprechen wagte. In die Musik konnte ich mich nicht mehr flüchten, weil sie mittlerweile einen Teil des Problems darstellte, und Alkohol war auch keine Option, da ich nicht sicher sein konnte, was ich in betrunkenem Zustand tun oder sagen würde.
Am Ende konnte ich die quälenden Gedanken in meinem Kopf einfach nicht mehr ertragen. Ich musste mit jemandem sprechen, sonst würde ich noch durchdrehen. Natürlich waren die einzigen Menschen, mit denen ich reden konnte, meine beiden Komplizen und Mitverschwörer, Sonia und Neal.
Sonia befand sich bestimmt bei Amos, und wenn es jemanden gab, dem ich im Moment aus dem Weg gehen wollte, dann war das Amos. Ehe ich es mich versah, saß ich im Bus nach Stoke Newington und eilte kurze Zeit später die hübschen kleinen Straßen entlang, die zu Neals Haus führten. Es war so ein schöner Tag: die Luft weich und warm, der Himmel tiefblau, mit kleinen Wolkenschleiern am Horizont. Mir begegneten nur glücklich aussehende, sommerlich gekleidete Menschen mit offener, freundlicher Miene.
Ich war gar nicht auf die Idee gekommen, dass er nicht da sein könnte, doch als ich schließlich bei ihm klingelte, machte mir niemand auf. Ich spähte durch den Briefschlitz, sah aber
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