Die Komplizin - Roman
denen ebenso hässliche Holzdielen zum Vorschein gekommen waren. Wie ich nun erkannte, bestand mein Problem darin, dass ich mich nicht auf je einen Raum konzentriert hatte. Stattdessen war ich nach dem Prinzip verfahren, dass ich, wenn ich überall für Chaos sorgte, wohl oder übel gezwungen wäre, mich hinterher damit zu befassen. Wider Erwarten aber hatte ich festgestellt, dass man sich an ein solches Chaos auch einfach gewöhnen konnte.
Während ich nun von Raum zu Raum wanderte, begriff ich, dass es noch ein zweites Problem gab: Ich hatte keine wirkliche Vorstellung davon, was ich eigentlich wollte. Im Grunde wusste ich nur, was ich nicht mehr wollte: diese Schäbigkeit, diese Enge, die triste Küchenzeile, den schmutzigbeigen Teppich, die Plastikbadewanne. Ich trat ins Schlafzimmer und blickte mich um. Die gemusterte Tapete sah aus, als stammte sie noch aus den Sechzigern, der abgewetzte grüne Teppich war um den Heizkörper herum nicht richtig eingepasst, und alles in allem machte der Raum den Eindruck, als wäre eine wild zusammengewürfelte Mischung aus gebraucht erstandenen Möbeln hineingepfercht worden – was der Wahrheit ziemlich nahekam. Nichts passte zusammen. Hier würde ich anfangen.
Ich schaffte es, den Schrank aus dem Raum zu zerren, auch wenn er dabei vorübergehend in einem unmöglichen Winkel in der Tür klemmte und ich ihn nur freibekam, indem ich ein
kleines Stück Verputz herausschlug, so dass in der Wand eine hässliche Kerbe zurückblieb. Als ich mich anschließend daranmachte, auch die Kommode hinauszuziehen, entdeckte ich dahinter jede Menge Zeug: Stifte, ein altes Handyladegerät, das ich längere Zeit erfolglos gesucht hatte, eine verkratzte CD mit Folkmusik. Wenig später stellte ich fest, dass ich nun jedes Mal, wenn ich aus dem Schlafzimmer in den Rest der Wohnung gelangen wollte, mehr oder weniger über die Kommode klettern und mich am Schrank vorbeizwängen musste. Beispielsweise, um den Schaber zu holen, der in der Küche lag. Die nächsten zwei Stunden brachte ich damit zu, die Tapete von der Wand zu reißen und zu schaben. Schon nach etwa zehn Minuten wünschte ich, ich hätte sie einfach ein paarmal übermalt, bis das Muster verschwunden wäre, doch zu dem Zeitpunkt erschien es mir zu spät aufzuhören. Außerdem wurde mir klar, dass es ratsam gewesen wäre, vorher darüber nachzudenken, welches Chaos ich wieder anrichten würde. Überall lagen Papierfetzen herum, und der ganze Raum war mit kleinen Schnipseln übersät, die mich an Haarschuppen erinnerten. Da ich es versäumt hatte, mein Bett abzudecken, lag das Zeug auch darauf. Unter dem Tapetenmuster kam ein weiteres Muster zum Vorschein – weniger geometrisch, aber dafür blumiger. Wie weit sollte ich dieses Ausgrabungsprojekt fortführen, auf das ich mich da eingelassen hatte? Wie viele Schichten musste ich abtragen, bis ich endlich auf eine schlichte Wand stoßen würde?
Ich war schweißgebadet, schmutzig und durstig. Meine Kopfhaut juckte, und meine Augen tränten. Ich riss das Fenster weit auf, so dass mit der warmen Luft auch die Geräusche von der Straße hereinfluteten: Gesprächsfetzen und fröhliches Lachen, Vogelgesang und Verkehrslärm. Ich legte den Schaber beiseite, kletterte über die Kommode und ergriff die Flucht.
Danach
Sie stand dicht vor der Tür, als ich von drinnen hinausspähte, so dass wir uns einen Moment aus nächster Nähe anstarrten, nur durch eine Glasscheibe voneinander getrennt. Ich wusste sofort, wer sie war, auch wenn sie inzwischen anders aussah als auf dem Foto: natürlich ein gutes Stück älter und nicht mehr so strahlend und lebendig. Sie hatte auffallend grüne Augen, und ihr kastanienbraunes Haar, das sie hinter die Ohren gekämmt trug, war inzwischen von grauen Strähnen durchzogen. In ihrer cremefarbenen Baumwollhose, dem leichten braunen Shirt und den Espandrillos wirkte sie frisch, sauber und souverän. Ich fragte mich, ob sie lange überlegt hatte, in welcher Aufmachung sie mir gegenübertreten wollte. Hatte sie vor ihrem Schrank gestanden und sich Gedanken darüber gemacht, wie sie sich der Geliebten ihres toten Ehemannes präsentieren sollte? Mir wäre es jedenfalls lieber gewesen, wenn sie ihren Besuch angekündigt hätte, damit ich ihr ein bisschen besser angezogen als nur mit dem übergroßen Herrenhemd gegenübertreten hätte können, das noch dazu – wie mir zu meinem großen Entsetzen bewusst wurde – aus Haydens Beständen stammte. Womöglich hatte
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