Die Komplizin - Roman
nur einen Streifen der Holzdielen, über die man zur Treppe gelangte. Was sollte ich nun mit mir anfangen – mit meinem wild klopfenden Herzen und der brennenden Angst? Ich setzte mich auf die Haustreppe, ließ den Kopf in die Hände sinken und schloss die Augen.
»Bonnie?«
Blinzelnd blickte ich hoch. »Neal?«
»Wie lange sitzt du da denn schon?«
»Erst seit ein paar Minuten.«
»Geht es dir nicht gut?«
»Doch, alles in Ordnung. Glaube ich zumindest.« Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Ich weiß selbst nicht so genau, warum ich gekommen bin. Vermutlich wollte ich einfach nicht allein in meiner Wohnung herumhängen. Wie geht es dir? Ist bei dir denn alles in Ordnung?«
»Bei mir? Also, ehrlich gesagt kann ich mich im Moment auf gar nichts konzentrieren. Ich bin richtig nervös. Deswegen war ich auch unterwegs – weil ich es zu Hause nicht mehr ausgehalten habe. Aber in der Stadt habe ich es genauso wenig ausgehalten, es zog mich sofort wieder nach Hause, als müsste ich mich vor allen verstecken. Mein Gott, ich würde einen lausigen Verbrecher abgeben!«
Er verzog die Lippen zu einem verzweifelten Lächeln. Sein verzerrter Mund erschien mir plötzlich wie ein dunkles Loch in seinem sonst so attraktiven Gesicht. »Aber letztendlich bin ich ein Verbrecher, stimmt’s? Ich bin einer! Ich! So ein verdammter Mist. Wer hätte das gedacht? Ein langweiliger, gesetzestreuer Einsiedlerkrebs wie ich, der sich selbst dann an die Geschwindigkeitsbeschränkungen hält, wenn er schrecklich in Eile ist.«
»Sollen wir hineingehen?«
»Ich muss die ganze Zeit daran denken, dass ich es bestimmt nicht für mich behalten kann. Wie der alte Seemann aus Coleridges Ballade. Ich werde auf der Straße irgendeinen wildfremden Menschen aufhalten und ihm erzählen, was ich getan habe.«
»Lass uns reingehen, Neal.«
»Ja. Tut mir leid. Moment.« Mit zitternden Fingern versuchte er den Schlüssel ins Schloss zu fummeln und begann leise zu fluchen, als es ihm nicht gleich gelang.
»Gib her, lass mich das machen!«
Nachdem wir es ins Haus geschafft hatten, machte ich erst mal eine Kanne Kaffee und verordnete uns als zusätzliche Aufmunterung ein paar Scheiben Toast mit Marmite. Wir ließen uns damit am Küchentisch nieder. Neal trank einen großen Schluck Kaffee, biss ein riesiges Stück von seinem Toast ab und fragte dann mit vollem Mund: »Sind wir eigentlich Idioten?«
»Was?«
Er nahm einen weiteren Bissen. »Sie werden uns auf die Schliche kommen, nicht wahr?«
»Nein, das glaube ich nicht.« Ich begriff, dass ich Neal würde trösten müssen. Dabei war ich doch selbst in der Hoffnung gekommen, bei ihm so etwas wie Trost zu finden, oder zumindest die Gesellschaft eines Menschen, der mein Geheimnis mit mir teilte.
»Ich habe es für dich getan.«
»Ich habe dich nicht darum gebeten«, antwortete ich hilflos.
»Ich weiß. Du hast mich nicht darum gebeten und ich dich nicht. Wenn ich daran denke, was wir beide füreinander getan haben, fühle ich mich manchmal richtig euphorisch.«
»So war das aber nicht.«
»Und manchmal fühle ich mich richtig schrecklich.«
»Ich weiß. Ich auch.«
»Glaubst du, Sie verdächtigen uns?«
»Keine Ahnung. Meiner Meinung nach wissen sie noch nicht mal, dass er in der Wohnung gestorben ist. Was ihn und mich betrifft, wissen sie allerdings Bescheid. Und von dir und mir habe ich ihnen auch erzählt.«
»Wobei es da ja nicht viel zu berichten gab«, erwiderte er. »Nur die eine Nacht.«
»Ich hab gesagt, wir seien zu dem Zeitpunkt zusammen gewesen. Solange wir dabei bleiben, kann uns nichts passieren.«
»Ja. Wir waren zusammen.«
»Den ganzen Abend und die ganze Nacht.«
»Ja.«
»Er war verheiratet.«
»Was?«
»Hayden war verheiratet.«
»Er hatte eine Frau?«
»Eine Frau und einen Sohn.«
Er schob sich den Rest seines Toasts in den Mund. »Was bedeutet das für uns?«
»Ich habe keinen blassen Schimmer, Neal. Ich weiß nur, dass Hayden ein kompliziertes, chaotisches Leben führte und die Polizei das alles ebenfalls genau unter die Lupe nehmen wird. Es gab da eine Ehefrau, die er verlassen hatte, einen Sohn, den er nur ganz selten sah, Freunde, die er enttäuscht hatte, und etliche Leute, mit denen er zusammenarbeitete und die er ebenfalls des Öfteren im Stich ließ. Aber du vergisst etwas Wichtiges.«
»Was denn? Was vergesse ich?«
»Wir haben ihm nichts getan. Ich meine, natürlich haben wir wichtige Spuren verwischt.« Er stieß ein heftiges Schnauben
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