Die Komplizin - Roman
aus. »Besser gesagt, du hast Spuren verwischt, wohingegen ich und Sonia – nun ja, keine Ahnung, wie ich das nennen soll. Trotzdem haben wir ihn weder getötet noch ihm sonst irgendwelchen Schaden zugefügt. Das ist eine andere Art von Verbrechen. Irgendjemand da draußen hat ihn getötet.«
»Und wir haben das Ganze für ihn oder sie vertuscht.«
»Genau.«
»Was die betreffende Person jetzt wohl denkt?«
»Tja, was hast du denn gedacht, nachdem die Leiche verschwunden war?«
»Ich dachte … so was wie: Oh, verdammt, du lieber Himmel, ist das jetzt ein Traum oder ein Albtraum? O mein Gott, werde ich jetzt verrückt? Ich war … ich war … ich weiß auch nicht, es war völlig surreal, und ich schwöre bei Gott, dass
ich in meinem ganzen Leben nichts auch nur annähernd Vergleichbares durchgemacht habe. Noch dazu gab es keinen Menschen, mit dem ich darüber hätte reden können…« Er raufte sich die Haare.
»Genau. Vermutlich denkt der oder die Betreffende genau das Gleiche. Wer auch immer es sein mag.«
»Glaubst du, es ist jemand, den wir kennen?«
»Vermutlich nicht. Vielleicht war es irgendein Fremder. Womöglich werden wir es nie erfahren – wir nicht und auch sonst niemand.«
»Und was dann?« Mit diesen Worten schob er seine Tasse und seinen Teller von sich weg, ließ den Kopf auf den Tisch sinken und brach in Tränen aus. Seine Schultern bebten, und aus seiner Kehle drangen wimmernde Laute. Ich beugte mich zu ihm hinüber und legte ihm eine Hand auf den Rücken.
»Nicht weinen«, sagte ich. »Bitte nicht, Neal. Es wird schon alles gut werden. Du hast ihn doch nicht getötet. Du hast nur versucht, mir zu helfen. Deine Beweggründe waren ehrenwert. Genau wie die meinen. Wir haben es füreinander getan und sind auch jetzt füreinander da. Gemeinsam schaffen wir das schon. Also hör bitte auf zu weinen.«
Ich betrachtete ihn, wie er da über dem Tisch hing und sein ganzer Körper vor Kummer bebte, und wünschte, ich wäre an seiner Stelle und jemand würde mir die Hand auf den Rücken legen und beruhigend flüstern, es würde schon alles gut werden. Einen Moment tauchte Haydens Bild vor mir auf. Sein Gesicht wirkte offen, und ich sah die vielen Lachfältchen rund um seine Augen, als er zu mir sagte: »Du bist hart im Nehmen, Bonnie.« Das stimmte. Ich wollte gar nicht weinen und mich trösten lassen. Zumindest noch nicht, und nicht von Neal.
Plötzlich begann das Telefon zu klingeln, und Neal fuhr hoch. Sein Gesicht war tränenüberströmt.
»Du brauchst nicht ranzugehen«, sagte ich.
Aber er hatte bereits die Hand ausgestreckt. »Ja?« Plötzlich
wirkte seine Miene angespannt, und er zog die Stirn in Falten. »Ja, am Apparat. Ja. Ähm, ich glaube, das schaffe ich. Gut, ich werde da sein.«
Er legte auf.
»Die Polizei?«, fragte ich.
Er nickte.
»Wann?«
»In einer Stunde.«
»Du weißt, was du ihnen sagen wirst?«
»Ich glaube schon.«
»Wir sind ein Paar. Wir waren zusammen.«
»Gut.«
»Die ganze Zeit.«
»Ja.«
»Was alles andere betrifft – sämtliche Geschehnisse rund um Hayden –, sagst du einfach die Wahrheit. Du kannst ruhig zugeben, dass du ihn nicht gemocht und von unserer Affäre gewusst hast und selbstverständlich ein bisschen eifersüchtig warst. Du kannst ihnen auch von den Spannungen in der Band erzählen. Im Grunde brauchst du ihnen nichts zu verheimlichen – abgesehen von dem, was an jenem besagten Abend passiert ist. Alles klar?«
»Ich bin ein schrecklich schlechter Lügner.«
Davor
Nachdem Amos gegangen war, schaute ich mich in meiner Wohnung um. Ich versuchte sie durch die Augen eines Besuchers zu sehen, der sie zum ersten Mal betrat. Kein hübscher Anblick. Der Grund, warum ich mir dieses Jahr keinen Urlaub gegönnt hatte, war – neben akutem Geldmangel – mein Vorhaben gewesen, sie zu renovieren und wohnlicher zu gestalten, doch bisher hatte ich es lediglich fertiggebracht,
sie so aussehen zu lassen, als würde dort eine gestörte Person leben. Ich hatte die Hälfte der Schränke ausgeräumt und ihren Inhalt in Schachteln gepackt, um diese anschließend auf jede freie Fläche und zum Teil auch auf den Boden zu leeren, weil ich irgendetwas Bestimmtes suchte. Die Wände hatte ich teilweise gestrichen, dann aber mittendrin aufgehört. Anderswo hatte ich begonnen, die Tapeten zu entfernen, war aber auch davon wieder abgekommen. In der Küche hatte ich ein paar von den hässlichen grünen Linoleumfliesen herausgerissen, unter
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