Die Komplizin - Roman
Schminke erkennen. Das Make-up hatte sich ein wenig abgerieben, so dass der Kragen einen schmuddeligen, orangebraunen Fleck aufwies. Hauptsächlich aber sah ich einfach nur seltsam aus. Wäre ich mir selbst auf der Straße begegnet, hätte ich wahrscheinlich auch geglaubt, dass etwas nicht mit mir stimmte. Dass ich irgendwie schräg wirkte. Ich blinzelte. Eine einzelne kleine Träne lief mir über die Wange und hinterließ eine Spur in der Schminke. Vorsichtig rieb ich mit dem Zeigefinger darüber, bis mein Gesicht wieder eine einheitliche Farbe aufwies. Am liebsten hätte ich mir eiskaltes Wasser ins Gesicht geklatscht, aber da das nicht ging, blieb ich einfach stehen und betrachtete verzweifelt mein Spiegelbild.
Schließlich ging ich in die Küche und schenkte mir ein Glas Wasser ein. Nebenan konnte ich die anderen reden hören. Obwohl ich wusste, dass sie auf mich warteten, schaffte ich es nicht hinüberzugehen. Nach einer Weile tauchte Neal neben mir auf, nahm mir das Glas aus der Hand und stellte es auf den Tisch.
»So kann das nicht weitergehen.«
»Was meinst du?«
Wir sprachen beide so leise, dass die anderen uns nicht hörten.
Er schob meinen Schal ein wenig hoch. »Das da.«
»Fass mich nicht an!«
»Keine Sorge. Das überlasse ich deinem geliebten Hayden.«
»Ich möchte nicht darüber sprechen.«
»Ich verstehe das nicht, Bonnie. Du bist doch eine starke Frau. Ich hätte nie gedacht, dass du dir von irgendjemandem so etwas gefallen lässt.«
»Ich habe es mir nicht gefallen lassen.«
»Sieh dich doch an.«
»Bitte schau mich nicht an. Bitte nicht!«
»Du siehst schrecklich aus. Dein Hals ist ein einziger Bluterguss, und du kannst kaum das Gesicht bewegen.«
»Aber nur, weil es so dick mit Make-up zugekleistert ist.«
»Das ist nicht komisch. Du bist Opfer einer Misshandlung geworden.«
»Das stimmt nicht.«
»Was wirst du dagegen unternehmen?«
»Was geht dich das an?«
»Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie er dir das antut.«
»Es wird nie wieder vorkommen.«
»Heißt das, du verlässt ihn?«
Ich wandte mich ab.
»Das ist meine Sache, nicht deine.«
»Ich tu das nicht aus Sorge um dich oder weil ich so nett bin«, zischte er. Als er sich zu mir herüberbeugte, wich ich zurück. »Ich werde nicht tatenlos zusehen«, wiederholte er. »Ich werde ihn zur Rede stellen und ihm sagen, dass er die Finger von dir lassen soll. Hast du verstanden?«
»Was verstanden?« Amos stand im Türrahmen und musterte uns amüsiert.
»Nichts«, antwortete ich.
»Gar nichts«, bekräftigte Neal.
»Was auch immer dieses große Nichts sein mag, gönnt ihm eine Pause, und lasst uns weitermachen. Alle warten auf euch. Dich hat wohl die Sonne erwischt, was, Bonnie?«, fügte er hinzu, als ich an ihm vorbeiging. »Mit deiner blassen Haut solltest du da besser aufpassen.«
Danach
Als ich in King’s Cross aus dem Zug stieg, war bereits später Abend, und der Himmel hatte einen unguten Violettstich angenommen. Es war immer noch drückend schwül. So wie es aussah, war ein heftiges Gewitter im Anzug. Ich ging trotzdem nicht sofort nach Hause, weil ich nachdenken musste und wieder einen klaren Kopf bekommen wollte. Also wanderte ich entlang der vielen neuen Wohnungen und Büros aus gewölbtem Glas zum Kanal hinunter. Dabei passierte ich auch zahlreiche Grundstücke, auf denen gerade Gebäude abgerissen wurden, um für neue Bauten Platz zu machen. Kurz bevor man jedoch den Kanal erreichte, hatte man das Gefühl, dass London plötzlich zurückwich. Das Wasser wies einen dunklen, schmutzigen Braunton wie von gekochtem Tee auf. Eine steife Brise kräuselte seine Oberfläche. Als mir die ersten Regentropfen ins Gesicht klatschten, zog ich schaudernd die Schultern hoch, weil ich in meinen dünnen Sachen plötzlich fror. Müde war ich auch, und gleichzeitig zittrig von zu viel Koffein und zu wenig Essen. In meinem Kopf aber schwirrten die Gedanken nur so durcheinander.
Während ich langsam den Treidelpfad entlangging, fiel mein Blick auf ein Hausboot mit großen Blumentrögen an Deck. Drinnen konnte ich eine Frau mit Brille Zeitung lesen sehen. Ein Jogger hechelte an mir vorbei. Im Wasser schwamm allerlei Müll. Eine heftige Windbö peitschte mir weitere Regentropfen ins Gesicht. Der Himmel verdunkelte sich immer mehr. Ein Unwetter zog herauf.
Davor
Ich überstand die Probe, indem ich brav nickte, wenn jemand etwas sagte, den Mund immer wieder zu so etwas wie einem Lächeln verzog und Worte von mir gab, die
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