Die Komplizin - Roman
damit wir Ersatz für ihn suchen können.«
»Für ihn gibt es keinen Ersatz!«, entgegnete Joakim.
»Jeder ist ersetzbar.«
»Wir müssten noch mal ganz von vorn anfangen.«
»Darüber brauchen wir uns vorerst noch nicht den Kopf zu zerbrechen«, mischte ich mich ein. »Ich werde ihn anrufen und in Erfahrung bringen, was los ist.«
»Ruf ihn gleich an«, sagte Amos.
»Mache ich.«
»Ich meine, jetzt gleich.«
Gehorsam zückte ich mein Telefon und wählte seine Nummer, obwohl ich genau wusste, dass er nicht rangehen würde. Nie wieder. »Hallo«, meldete sich Haydens Stimme, »wie es aussieht, bin ich gerade anderweitig beschäftigt, freue mich aber über eine Nachricht.«
»Hayden«, begann ich. Zitterte meine Stimme? Was ich da gerade tat, fühlte sich fast schlimmer an als alles andere – beinahe noch schlimmer als der Moment, als die Leiche im Wasser versank. »Hayden, hier ist Bonnie, aber wo bist du? Wir haben dich bei der Probe vermisst. Ruf mich an, ja?«
Ich klappte das Telefon zu.
»Das bringt uns auch nicht viel weiter«, meinte Guy.
»Er ruft bestimmt zurück.«
»Du hättest viel energischer sein sollen«, rügte mich Amos.
Nachdem wir die Instrumente verstaut hatten, sammelten Sonia und ich die Tassen ein, um sie in der Küche abzuspülen. Während ich den Hahn aufdrehte, sah ich sie an, aber da sie nicht reagierte, wagte ich es nicht, etwas zu sagen. Da spürte
ich plötzlich jemanden hinter mir, einen Blick in meinem Rücken, und drehte mich um. Es war Neal.
»Wie geht es dir?« Er beugte sich zu mir vor.
Ich trat einen Schritt zurück. »Gut«, antwortete ich, »und dir? Alles in Ordnung?«
»Ich bin ziemlich müde.« Er sah tatsächlich sehr müde und abgespannt aus. Trotz allem empfand ich einen Anflug von Zärtlichkeit und Schuldgefühl. Er zuckte leicht mit den Achseln. »Ich konnte nicht schlafen.«
»Oje«, antwortete ich dümmlich.
»Das war nicht gerade unsere beste Probe, oder?«
Ich blickte zu Sonia hinüber, die tapfer antwortete: »Es wird bestimmt besser, wenn Hayden wieder dabei ist.«
»Ja, natürlich.« Neal musterte mich so eindringlich, dass ich mich verlegen abwandte. »Aber wie Guy so richtig gesagt hat: Jeder ist ersetzbar.«
Neal brach vor allen anderen auf, ich sah ihn mit gesenktem Kopf davoneilen. Dann verabschiedeten sich Guy und Joakim – Joakim immer noch blass und mürrisch, Guy weiterhin sauer. Sonia fragte mich, ob ich Lust hätte, mit ihr und Amos noch auf einen Drink zu gehen, aber da ich ihr nicht einmal richtig in die Augen schauen konnte, behauptete ich, keine Zeit zu haben. Sally rief mich auf dem Handy an und sagte, es wäre wunderbar, wenn ich vorbeikommen und für eine Stunde auf Lola aufpassen könnte, weil sie kurz etwas zu erledigen habe. Ich gab ihr zur Antwort, dass es leider nicht gehe, weil ich selbst auch etwas Dringendes zu erledigen hätte. Was tatsächlich stimmte. Ich spürte es schon den ganzen Nachmittag wie eine juckende Stelle in meinem Gehirn, und je länger sich der Nachmittag hinzog, desto unerträglicher wurde es, so dass ich gegen Ende der Probe kurz davorstand, unter irgendeinem Vorwand aus dem Haus zu stürzen. Ich musste mich richtig zwingen auszuharren, bis alle anderen weg waren.
Nachdem ich den Haustürschlüssel zweimal herumgedreht hatte, warf ich ihn durch den Briefschlitz ins Haus und eilte trotz der stechenden Schmerzen, die mir jede zu rasche Bewegung verursachte, im Laufschritt zur U-Bahn – mit dem Ergebnis, dass ich am Bahnsteig zwölf Minuten auf den nächsten Zug warten musste. Ungeduldig tigerte ich auf und ab.
Als ich schließlich in Kentish Town eintraf, versuchte ich mich möglichst normal zu verhalten, wurde aber das Gefühl nicht los, dass mich die Leute verstohlen beobachteten und mich bei allem, was ich tat, genau ins Visier nahmen. Womöglich verhielt ich mich doch nicht normal. Ich ging in eine Apotheke und kaufte eine Packung Plastikhandschuhe. Diejenigen, die Sonia und ich benutzt hatten, befanden sich in irgendeiner Mülltonne.
Als ich schließlich in die kleine Seitenstraße einbog, warf ich immer mal wieder einen schnellen Blick über die Schulter, um mich zu vergewissern, dass sich niemand in meiner Nähe aufhielt. An diesem Tag war die Autowerkstatt geöffnet. Draußen auf dem Hof hatten sie einen Wagen auf einer Hebebühne hochgefahren, und ein Mann, der eine schmutzige Weste trug, machte sich in liegender Haltung darunter zu schaffen. Rasch eilte ich die letzten
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