Die Komplizin - Roman
es liegen auch keine alten Zeitungen herum – geschweige denn dreckige, in eine Ecke gepfefferte Hemden.«
Ich gab ihm keine Antwort. Stattdessen konzentrierte ich mich darauf, gleichmäßig weiterzuatmen. Worauf wollte er hinaus?
»Weißt du, was ich glaube?«
Ich schüttelte den Kopf, weil ich noch immer nichts zu sagen wagte.
»Ich glaube, er ist gar nicht so urplötzlich verschwunden. Meiner Meinung nach hat er das alles im Voraus geplant. Dass er es uns nicht gesagt hat, war seine Art, uns ein dickes ›Ihr könnt mich mal‹ zukommen zu lassen.«
»Dad!«, protestierte Joakim in zornigem Ton.
»Auf diese Weise wollte er uns demonstrieren«, fuhr Guy ungerührt fort, »dass wir in seinen Augen bloß ein paar armselige Amateure sind. Klingt das nicht ganz nach ihm?«
Ich betrachtete Joakim, der zutiefst verletzt wirkte, als hätte ihn gerade jemand verraten.
»Du könntest recht haben«, antwortete ich.
»Es gibt eine Möglichkeit, das herauszufinden«, meinte Guy.
»Und die wäre?«
Statt einer Antwort begann er in den Schubladen des kleinen Tisches herumzustöbern.
»Was machst du da?«
»Suchen«, antwortete er geheimnisvoll.
»Wonach?«
»Na ja, wo ist denn zum Beispiel sein Pass?«
»Wozu brauchst du seinen Pass?«
»Ich brauche ihn nicht. Aber ich würde gerne wissen, ob der Pass da ist, weil er ihn ansonsten nämlich mitgenommen hat. Was wiederum bedeuten würde, dass er tatsächlich irgendwohin abgedüst ist. Dann wüssten wir wenigstens, woran wir sind. Wo könnte er ihn denn sonst hingetan haben?«
Widerstrebend wanderte ich hinter Guy her. Er zog sämtliche Schubladen auf, lugte unter Papiere und durchwühlte sogar Haydens Jacken- und Hosentaschen.
»Kein Pass«, wandte er sich triumphierend an Joakim. »Kein Pass, keine Brieftasche, kein Telefon. Finde dich damit ab – er hat die Fliege gemacht.«
»Das würde er nie tun!«
»Und«, fuhr Guy fort, während er ins Bad ging, »keine Zahnbürste, kein Rasierer. Er ist wirklich weg, mein Sohn.« Als er sah, wie niedergeschlagen Joakim plötzlich dreinblickte, wurden seine eben noch so strengen Gesichtszüge ein wenig weicher. »Tut mir leid«, fügte er hinzu.
»Es tut dir überhaupt nicht leid! Ganz im Gegenteil, du freust dich! Du warst doch die ganze Zeit der Meinung, dass er einen schlechten Einfluss auf mich hat.«
»Hayden und ich waren nicht in allen Punkten einer Meinung. Trotzdem tut es mir leid, dass es auf diese Weise enden musste«, widersprach Guy. »Ich weiß, wie toll du ihn gefunden hast.«
Er legte Joakim eine Hand auf die Schulter, aber Joakim riss sich los und stürmte zurück ins Wohnzimmer.
»Wir sollten jetzt gehen«, sagte ich und lief ihm ein paar Schritte nach. »Wie es aussieht, kommt er nicht zurück.«
»Er hat seine Gitarre dagelassen!« Joakim deutete auf den Gitarrenkoffer, der am Sofa lehnte.
»Ist das seine?«, fragte ich dümmlich.
»Er hätte sie niemals zurückgelassen! Er hat sie geliebt!«
Joakim ging in die Knie, öffnete den Koffer und zog die Gitarre heraus. Erschrocken starrte er auf den zersplitterten Korpus und die gerissenen Saiten. Dann strich er sanft mit den Fingerspitzen darüber, als wären sie aus Fleisch und Blut, als könnte er sie heilen.
»Sie ist kaputt«, stellte er nach einer Weile fest. »Wer hat das getan?«
»Er selbst natürlich«, antwortete Guy, »wer sonst?«
»Nein. Das verstehst du nicht. Das wäre, als hätte er einen geliebten Menschen geschlagen.«
»Na und? So was passiert ständig.«
»Wir müssen gehen«, drängte ich. Meine Haut prickelte vor Angst. Ich hatte das Gefühl, es keine Minute länger an diesem Ort auszuhalten. Wenn wir nicht bald von hier verschwanden, würde ich irgendetwas ganz Schreckliches sagen oder tun.
Nachdem wir endlich draußen waren, zog ich die Tür hinter uns zu und eilte die Treppe nach oben, um den Schlüssel abzugeben.
»Fündig geworden?«, fragte der junge Mann.
»Wie es aussieht, ist er weitergezogen.«
»Es ist wahrscheinlich nicht wichtig, aber ich habe in der Wohnung seltsame Geräusche gehört.«
»Oh, tatsächlich?«
»Ich kann allerdings nicht mehr genau sagen, wann das war. Ich dachte, er hätte Besuch von seiner Freundin.«
»So war es wahrscheinlich auch.«
Davor
Tagsüber kratzte ich in meiner Wohnung Tapetenfetzen von der Wand, traf mich mit Freundinnen, ging einkaufen oder saß einfach nur faul im Park und hörte per Ohrstöpsel Musik. Nachts aber lag ich mit Hayden in Lizas Schlafzimmer,
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