Die Komplizin - Roman
war meiner Meinung nach gut geeignet, um die Leute auf der Hochzeit zum Tanzen zu animieren. Leider lief es nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Neal war schlechter Laune. Er hatte mit seinem Bass eine Art Arpeggiomuster zu spielen – sozusagen als Fundament, auf dem der ganze Song ruhte –, bekam es aber einfach nicht hin. Nachdem wir es dreimal versucht hatten und jedes Mal die Basslinie – und damit die ganze Nummer – eingebrochen war, wechselten wir verlegene Blicke.
»Lass dir deswegen keine grauen Haare wachsen«, versuchte ich Neal zu trösten. »Vielleicht sollten wir erst mal zu etwas anderem übergehen.«
»Nein«, entgegnete Neal eine Spur zu laut, »das bekomme ich schon hin. Gestern Abend ging es völlig problemlos. Noch mal. Eins, zwei, drei…«
Wir legten also ein weiteres Mal los und blieben gleich wieder hängen, wie ein Motor, der kurz nach dem Start abstirbt. Eigentlich war es fast schon lustig, auch wenn keiner von uns darüber lachen konnte. Ich hörte Neal erst leise und dann zunehmend lauter über sich selbst fluchen. Er fing an, die Stelle immer wieder durchzuspielen, bekam sie aber nach wie vor nicht auf die Reihe.
»Tut mir leid«, sagte er, »jetzt klappt es überhaupt nicht mehr. Es wird nur noch schlimmer statt besser.«
»Das haben wir gleich«, sagte Hayden.
Mit diesen Worten legte er seine Gitarre weg, kam herüber und nahm Neal, der vor lauter Überraschung überhaupt nicht reagierte, den Bass aus der Hand.
»Hör zu«, sagte Hayden.
Er spielte die Basslinie, die vom ersten Moment an so locker dahinfloss und swingte, dass ich automatisch lächeln musste. Ich hoffte, dass Neal es nicht gesehen hatte. Hayden spielte währenddessen weiter, als hätte er uns völlig vergessen. Mit geschlossenen Augen und einem Lächeln auf den Lippen begann er allmählich zu variieren, bis es noch viel besser klang. Dann schien ihm plötzlich klar zu werden, wo er sich befand. Abrupt hörte er auf und gab den Bass an Neal zurück.
»So in der Art«, sagte er.
Neals Augen funkelten vor Wut.
»Warum spielst du es eigentlich nicht gleich selbst?«, fragte er.
»Gerne, aber was spielst dann du ?«, gab Hayden zurück.
Ein unverzeihlicher Fauxpas.
Neal sah aus, als könnte er kaum fassen, was Hayden da gerade gesagt hatte. Ungläubig starrte er ihn an – ungläubig und sehr wütend.
»Das klang jetzt schlimmer, als es gemeint war«, versuchte Hayden ihn zu beschwichtigen. »Wenn du magst, kann ich den Basspart für dich durchsehen. Ihn ein bisschen vereinfachen.«
Einen Moment befürchtete ich, Neal würde Hayden eine verpassen. Oder durch spontane Selbstverbrennung in Flammen aufgehen, wie es angeblich manche Viktorianer getan hatten.
»Klar«, antwortete er in gepresstem Ton, »das wäre toll.«
Danach
In dieser Nacht schlief ich sehr unruhig und wachte erst spät auf. Noch ganz im Bann eines schlechten Traums, an dessen Einzelheiten ich mich nicht erinnern konnte, starrte ich eine Weile zur fleckigen Zimmerdecke empor und versuchte, in die Realität zurückzufinden. Es war ein heißer, windstiller Tag; der wolkenlose Himmel leuchtete in einem metallischen Hellblau, und die Sonne brannte herunter wie eine Lötlampe. Das Laub der Bäume vor meiner Wohnung hatte einen dunklen, schmutzigen Grünton, und auf dem kleinen Platz, der ein paar Häuser weiter lag, war die Grasfläche zu einem blassen Gelb verblichen. Bei dieser Hitze konnte man sich nur müde und schlapp fühlen. Wir hatten schon Ende August, so dass die Tage des Sommers gezählt waren. Als ich mich schließlich aus dem Bett kämpfte, um einen Blick nach draußen zu werfen, sah ich, wie sich der Nachbarshund im übernächsten Garten auf seinem kleinen Fleckchen Rasen räkelte. Im Haus gegenüber drückte sich ein nacktes kleines Kind gegen ein Fenster im ersten Stock, als wollte es seinen rosig leuchtenden Körper am Glas kühlen. Ich sagte mir, dass ich längst damit beschäftigt sein müsste, das Bad zu streichen oder in meinem Schlafzimmer weiterzumachen, wo Reste der
Tapete wie abgestorbene Hautfetzen herabhingen, als hätte dort jemand die Wand ausgepeitscht. Aber es war zu heiß. Eigentlich sollte ich mich gar nicht hier in dieser tristen Wohnung aufhalten, wo sich bei jedem Geräusch sowohl mein Herz als auch mein Magen zusammenkrampften. Ich hätte den ganzen Sommer wegfahren sollen, vielleicht auf eine griechische Insel. Einen Augenblick lang malte ich mir aus, wie es wäre, jetzt in einem
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