Die Komplizin - Roman
die einfach ihre Familien verlassen. Solange
aber nichts auf ein Verbrechen hindeutet, können wir nicht viel tun.«
»Aber es deutet doch eine ganze Menge auf ein Verbrechen hin«, widersprach Sally. »Haben Sie mir denn nicht zugehört?«
»Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist der Mann so eine Art Rockmusiker, nicht wahr?«
»Ja.«
»Ich kenne mich damit nicht so gut aus, aber soweit ich weiß, führen solche Leute oft ein recht unstetes Leben. Sie touren durch die Lande, ergattern plötzlich irgendwo einen neuen Job, kommen und gehen.«
»Er ist nicht einfach gegangen«, entgegnete Sally, »sondern spurlos verschwunden.«
Beckys Miene wirkte plötzlich argwöhnisch.
»Hatten Sie irgendeine Art von Beziehung mit diesem Mann?«
Ich sah das nervöse Flackern in Sallys Augen. Wie weit würde sie gehen?
»Wir waren befreundet.«
Nun folgte eine lange Pause. Offensichtlich fragte Becky sich gerade, ob sie uns einfach zum Teufel jagen solle, überlegte es sich dann aber doch anders.
»Wenn Sie mir Ihre Adresse geben, kommen meine Kollegen oder ich in den nächsten Tagen bei Ihnen vorbei. Dann können wir noch einmal über die Sache reden und entscheiden, ob es eine Basis für weitergehende Ermittlungen gibt.«
»Danke«, sagte Sally, »mehr verlange ich ja gar nicht.«
»Aber bedenken Sie«, fuhr Becky fort, »dass vielleicht gar nichts Schlimmes dahintersteckt. Womöglich wartet er schon auf Sie, wenn Sie nach Hause kommen.«
Davor
Manchmal läuft alles schief, und man kann nichts dagegen tun. Da keine Zeit blieb, irgendetwas auch nur ansatzweise Akzeptables zu arrangieren, fand die nächste Probe in meinem Wohnzimmer statt, wo wir im Grunde gar nicht genug Platz hatten. Ich war gezwungen, gleich am Anfang zu verkünden, dass wir so leise wie möglich spielen müssten, weil ich nicht riskieren konnte, es mir mit meinen neuen Nachbarn zu verderben.
Guy tauchte nicht auf, was in diesem Fall aber eher von Vorteil war. Zum einen hätten wir ihn und sein Schlagzeug sowieso nicht untergebracht, zum anderen hätte er sich katastrophal auf den Lärmpegel ausgewirkt. Was Hayden betraf, fühlte ich mich in meinen eigenen vier Wänden besonders befangen. Wir waren erst kurz vor Beginn der Probe aus dem Bett gekommen, und obwohl ich noch schnell geduscht und mich von Kopf bis Fuß abgeschrubbt hatte, bildete ich mir irgendwie ein, die anderen könnten ihn an mir riechen. Außerdem hatte er eine so einnehmende Art: Er sah sich alle meine Sachen an, zog Bücher aus den Regalen, ließ Klamotten herumliegen. Natürlich verhielt er sich überall so. Er schien grundsätzlich den ganzen zur Verfügung stehenden Raum für sich zu beanspruchen, doch meine Wohnung schien mittlerweile regelrecht von ihm durchdrungen. Bestimmt fiel das jedem sofort auf.
Ich überlegte, ob ich ihn bitten sollte, kurzfristig das Haus zu verlassen und dann wiederzukommen, aber vermutlich hätte er die Idee völlig absurd gefunden oder auf meine Kosten für eine spontane Lachnummer ausgenutzt. Die Türklingel riss mich aus meinen Gedanken. Es war Joakim, der auffallend rote Wangen hatte. Zum Teil lag das wahrscheinlich an dem wohligen Schauer, den die meisten Schüler empfanden, wenn sie die Privaträume einer Lehrkraft betraten. Außerdem
war er in Haydens Gegenwart immer ein wenig nervös, wenn auch nicht mehr als ich im Moment.
Amos in meiner Wohnung zu haben, behagte mir nicht besonders. Ständig blätterte er irgendwelche Bücher durch, um herauszufinden, ob es vielleicht seine waren.
»Wir müssen das alles noch mal genau auseinandersortieren«, erklärte er.
»Aber nicht jetzt«, gab ich ihm zur Antwort.
Er zückte seinen Kalender und schlug einen Termin nach dem anderen vor, bis ich ihn schließlich genervt anfauchte, woraufhin er den Beleidigten mimte. Am schlimmsten war das Spielen selbst. Woran es eigentlich lag, kann ich nicht sagen. Vielleicht an der Enge des Raums oder meiner eigenartigen, Hayden-bedingten Nervosität. So ähnlich fühlt man sich manchmal, wenn ein Gewitter bevorsteht und man hofft, es möge endlich losbrechen und schnell vorüberziehen. Sonia war ebenfalls nicht in Bestform. Sie litt an Heuschnupfen und brachte nur noch ein heiseres Gekrächze heraus. Leider klang es nicht so sexy wie das von Nina Simone, sondern einfach nur falsch. Frustriert zwängte sie sich an uns vorbei in die Küche, um sich ein warmes Getränk zuzubereiten.
Ich probierte einen neuen Song mit ihnen aus. Er hieß »Honky Tonk« und
Weitere Kostenlose Bücher