Die Konkubine des Erzbischofs
hatte – wie er selbst. Nur dass er aufrecht ging in Erwartung seines zukünftigen Glanzes. Isfrieds Brustkorb hob sich für einen schweren Atemzug, aber nicht frische Abendluft, sondern säuerlicher Gestank drang in seine Lungen. Die Unreinheit ist hier wohl zu riechen, dachte Isfried und senkte nun doch sein Haupt, weil er selbst gezwungen war, sich dieserorts zu vergnügen, anstatt, wie es ihm als stolzen Hardefust gebührt hätte, Frau und Kind sein eigen zu nennen.
An der Ecke zur Langgasse trat unvermittelt ein großer, hagerer Mann neben ihn, der in aufwändiges scharlachrotes Tuch gehüllt war. Auch seine guten Schuhe mit den langen Spitzen wiesen den Mann als einen Vornehmen aus. Isfried erschrak, als er sah, dass der Mann kein Gesicht zu haben schien, da er es in einer dunklen Kapuze verbarg.
»Folgt mir!«, befahl der Mann gedämpft. Als er die vertraut klingende, tiefe Stimme hörte, entspannte sich Isfried trotz der unheilkündenden Erscheinung. Es war ja nur Andreas Kleingedank, ein Ratsherr, der für seine außergewöhnliche Kleidung bekannt war, der liebste Freund seines Halbbruders Bruno. Isfried konnte Andreas wegen dessen Überheblichkeit ihm gegenüber nicht ausstehen, war aber in diesem Falle froh, dass er es war und nicht ein Räuber.
»Wie beliebt es Euch, zu mir zu sprechen, durchlauchter Herr Andreas?«, fragte Isfried und stieß erleichtert seinen Atem aus.
Der rechte Arm des scharlachroten Mannes steckte in einer Stoffalte. Nun holte er seine verborgene rechte Hand sehr ruhig hervor und offenbarte einen Dolch.
»Folgt mir!«, wiederholte der Mann. »Ihr habt keine Wahl.«
O doch, dachte Isfried, als er begriff, dass dies wahrlich ein Angriff war, ob es sich bei seinem Gegenüber nun um Andreas handelte oder nicht. Er machte einen Satz in die Kupfergasse, wo er gerade einen Mann erspäht hatte, der in einen Hauseingang trat. Isfried schrie laut, so dass der Mann sowie einige weitere Neugierige aus umliegenden Häusern auf die Gasse stürzten, um ihm zu Hilfe zu eilen.
»Was ist los, guter Mann?«, wurde Isfried gefragt. »Warum macht Ihr so ein Getös?«
»Jemand ist hinter mir her«, keuchte Isfried. »Man will mich meucheln!«
Er schaute sich ebenso wie die anderen um, doch niemand war ihm gefolgt. Der scharlachrote Bube war weit und breit nicht zu sehen.
»Ein Narrenesel«, hörte Isfried jemanden sagen. »Es war wohl nur der Wind.«
Die Leute kehrten in ihre Häuser zurück. Isfried war unschlüssig, ob er rennen oder langsam und umsichtig weitergehen sollte. Er lief ein Stück bis zur Ecke der Svardinsgazze, in die er rechts einbog. Er hielt nun inne und lauschte. Er vernahm ein schlurfendes Geräusch hinter sich und fuhr herum. Doch es war nur ein Bettler, der sich mühsam auf den Weg Richtung Stadtmauer machte, wo er vermutlich in einer der Nischen sein Unterkommen hatte. Der Bettler trug ein Bündel; im fahlen Mondschein meinte Isfried, es als braune Franziskanerkutte zu erkennen. Sicherlich ein verschlissenes Teil, das ihm von den minderen Brüdern aus Barmherzigkeit gegeben worden war, damit er sich für die Nacht zudecken kann, dachte Isfried.
Warum sollte mich der Freund meines Halbbruders bedrohen?, grübelte er. Er versuchte, sich so weit zu beruhigen, dass er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Wenn es sich bei dem scharlachroten Mann um den Ratsherrn Andreas Kleingedank gehandelt haben sollte, konnte es nicht anders sein, als dass auch sein eigener Halbbruder Bruno in den Angriff auf ihn verwickelt war! Isfried packte das blanke Grauen. Schließlich lebte er bei ihm und seiner Frau Sophia, die er heimlich anhimmelte. Dann wäre es wahrlich nicht ratsam, in Brunos Haus zurückzukehren. Gleich darauf verwarf Isfried die Vorstellung, Bruno könne ihm nach dem Leben trachten. Sophia würde das nicht zulassen! Und sie war es, die alle wichtigen Entscheidungen traf, überlegte Isfried und beschloss, dem Halbbruder und vor allem dessen Frau zu vertrauen. Sollte er seinen üblichen Weg über die Glockengasse und die Brückenstraße zurück nehmen? Er wählte den Weg an den Minoriten. Die Mauer des Franziskanerklosters zog sich lang hin und wirkte bedrohlich auf ihn. Er hatte große Angst, sie in der Dämmerung zu passieren. Doch glaubte Isfried sich hier der Vorsehung des Höchsten näher. Als er vorsichtig an der Mauer entlangschlich und sich immer wieder umdrehte für den Fall, dass er verfolgt wurde, kamen ihm unterdessen seine vielen Sünden in den Sinn und
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