Die Konkubine des Erzbischofs
die ich in diesem Buche finde: … mit dem natürlichen Sittengesetze zufrieden sein … Du, Philosoph, bekennst dich zu keinem Gesetze, sondern gibst allein den Vernunftgründen Raum … Dir ist bezüglich des Gesetzes nichts entgegenzuhalten … Ihr – der Philosoph, der Jude und der Christ – habt eine Einigung von gleich zu gleich beschlossen … Der Wissenschaft der Moral fügen Juden und Christen Vorschriften hinzu, die uns Philosophen insgesamt überflüssig erscheinen …« El Arab schaute mich mit verklärten Augen an. »Es ist ein Buch von solcher Kraft, von solch unbändiger Gewalt, wie es die Welt noch nicht gesehen. Das ist die Waffe, mit der wir die Heuchler, Idioten und Dummköpfe, die in der Kirche und im Lande die Macht haben, bekämpfen und besiegen werden für alle Ewigkeit zum Ruhme Gottes, dem höchsten Wesen, das Avicenna bekannte.«
El Arab fand sich nun doch bereit, den Heimweg anzutreten. Er klappte das Buch zu, presste es ganz eng an seinen Körper und ging leicht vorgebeugt, als müsse er seinen Schatz vor dem Ungemache aller Welt beschützen.
Durch den Anblick angeregt, fragte ich: »Herr, Ihr habt den Erzbischof vor dem feigen Anschlage gerettet, obgleich Ihr im Wettstreite um die Gunst ein und derselben Frau steht, bei Fragen des Glaubens uneins seid und betreffs der gerechten Ordnung der menschlichen Gemeinschaft in Feindschaft liegt. Warum habt Ihr das getan, anstatt ihn verderben zu lassen?«
»Das ist nicht die Art, in der ich meine Feinde loswerden möchte. Gleichviel, Konrad ist es nicht würdig, mein Feind zu sein – die Gunst seiner Frau gehört mir und mir allein, philosophisch ist er ein Nichts, und als Fürst ist er erledigt. Wenn er sterben soll, dann in einem Kampfe, der ihm die Gelegenheit gibt, seine Ehre wiederherzustellen.«
»Hättet Ihr ihn auch gerettet, wenn Ihr gewusst hättet, dass er den Mord am Hufschmied veranlasst hat?«, fragte ich neugierig.
»Wissen wir das schon sicher?«, fragte El Arab. »Es gibt einen Anlass, aber er passt nicht zu allem, was wir wissen. Ohne das Zeugnis vom langsamen Gisbert kommen wir nicht weiter.«
»Danke, dass Ihr Konrad gerettet habt, Herr.«
»Du liebst ihn, unvernünftiges kleines Mädchen. Das habe ich mir doch gleich gedacht, schon als du ihn noch Unwürden nanntest. Doch seine Heloise willst du nicht werden?«
»Nein, ich bin nicht Heloise, werde es nicht sein und will es auch nicht sein. Konrad ist schließlich auch kein Abaelardus, wie Ihr sicherlich bestätigen könnt, wenn Ihr ihn theologisch unwissend nennt. Und einer der Menschen, die er aus Rache für seine Verschneidung töten ließ, ist nicht mein verhasster Onkel, sondern mein geliebter Bruder gewesen.«
»Du wirst also mit uns kommen, wenn die Zeit dafür reif ist?«
»Ja, Herr, ich gehöre meiner hohen Herrin und auch Euch ganz und gar. Und die Freude an meiner Heimat ist mir vergällt. So wünschte ich, ich könnte ihr entfliehen.«
»Gleichviel, du solltest dich verheiraten. Dazu hast du unseren Segen und unseren ausdrücklichen Befehl.«
»Warum sollte ich das, was mir einmal zur Schande meines Lebens gereichte, fortsetzen oder auch nur fortsetzen wollen?«
»Es ist besser für dich, glaube es mir.«
»Wenn der Herr dies will, wird er mir ein Zeichen senden, so wie er mir bezeugt hat, dass ich Euch vertrauen kann.«
»Belassen wir es vorläufig dabei.«
Nachdem er mich meinen Gedanken überlassen hatte, fiel mir auf, dass ich El Arab freigiebig den Schlüssel zur Lösung des Falls geliefert hatte, nämlich das grässliche Geheimnis des Erzbischofs, während er mir das Schloss, in das der Schlüssel passte, vorenthalten hat, obgleich ich sicher war, dass er es besäße. Denn war es nicht naheliegend, dass El Arab wusste, was es mit dem Pergamente am abgetrennten Haupte des Hufschmieds auf sich hatte? Ich glaubte dem Zeugnis des Wächters Goswin, dass El Arab sich am Hahnentor eingefunden hatte. Warum hatte er das Buch, das doch sein größter Schatz werden sollte, nicht ausgelöst? Bestimmt hatte ich die Rettung von Rignaldo, ohne es zu wollen, vereitelt, weil ich nicht sofort über die Talion mit El Arab gesprochen habe. Und dann, nach Rignaldos trauriger Hinrichtung, habe ich mich auch noch der falschen Person anvertraut und damit mich selbst in Gefahr gebracht. Konnte mich El Arab wirklich beschützen? Und wollte er das? Ich fragte mich auch nach dem Grunde des langsamen Gisberts, mich töten zu wollen. Wenn es wegen Konrads Geheimnis war,
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