Die Konkubine
beiden Ginkgos sind übrigens Hunderte von Jahren alt. S’muss immer ein männlicher und ein weiblicher sein. Gehen wir rein!»
Konrad wäre lieber draußen geblieben. «Ich glaube, sie vertreiben Dämonen. Außerdem müssen wir wieder zurück nach Litsun. Die Kapelle hat möglicherweise bald ihren Auftritt. Wir stören hier nur.»
«Ich bin ganz verrückt nach Dämonen!» Rathfelder zog den Jüngeren mit sich. «Jetzt mach dich net madig. Bei dem ganzen Geknatter bemerkt uns sowieso keiner.»
Er sollte sich irren. Der ältere der beiden Mönche hockte auf der Erde, direkt neben einem der beiden roten Pfeiler, die den Eingang des Tempels bildeten. Er leierte mit brüchiger Stimme Gebete und verneigte sich immer wieder. Unter dem flachen Kegel seines Strohhutes erblickten die beiden deutschen Soldaten ein faltiges Gesicht mit einem weißen Knebelbart. Die dunklen Augen blitzten kurz auf, als die fremden Teufel kamen. Dann schlug der Alte die Lider nieder, ergriff das dünne Pfeifenrohr mit den winzigen Metallknöpfchen, das er neben sich abgelegt hatte, und steckte es in den Mund.
Der zweite, wesentlich jüngere Mönch, der neben ihm kauerte, machte eine ärgerliche Bewegung und wollte aufspringen, um die beiden Soldaten vom Eintreten in den Tempel abzuhalten. Doch der Ältere sagte rasch einige Worte und legte ihm die Hand auf den Arm. Da hockte sich der Jüngere wieder auf seine Fersen.
Konrad hatte das kurze Zwischenspiel bemerkt. Er kam sich erneut wie ein Eindringling vor und wollte umkehren. Sein künftiger Stubenkamerad war aber nicht mehr aufzuhalten.
Aus dem Tempelinneren schlugen ihnen Weihrauchschwaden entgegen. Zunächst konnten sie in dem Halbdunkel nur Schemen sehen, doch sie hörten den Singsang von Männerstimmen. Zwischen zwei weiteren Mönchen und einem dritten Mann kniete eine Chinesin. Sie trug einen festlichen Kopfputz aus Halbedelsteinen und Silberfiligran und vollzog unaufhörlich den Kotau vor einer übermannsgroßen Götterfigur. Deren dunkles Gesicht mit den riesigen Augenbrauen glitzerte dämonisch im Schein der Kerzen. Der Gott war in prächtige Gewänder aus golddurchwirkter Seide gekleidet. Davor qualmten die Räucherstäbchen. Jemand hatte dem Gott Päonien gebracht, in flachen Tiegeln standen Lebensmittel auf dem Altar.
«Diese Chinesen machen aber auch schtändig Kotau. Wie geprügelte Hunde.»
Konrad legte dem Schwaben die Hand auf den Arm. «Sei leise!», zischte er.
Vor den knienden Personen standen in einer Reihe drei Holztäfelchen. Die Augen der beiden Soldaten hatten sich inzwischen an das Halbdunkel im Tempel gewöhnt. Sie konnten jetzt erkennen, dass jemand mit schwarzer Tusche auf jedes drei chinesische Zeichen gemalt hatte. Bei zwei Täfelchen war ein roter Kreis um die Zeichen gezogen worden. Beim dritten setzte einer der Männer gerade den Pinsel an. Konrad Gabriel hatte den Eindruck, als habe er die Spitze in Blut getaucht. Der Mann mit dem Pinsel schien seiner Kleidung nach kein Mönch zu sein. Vielleicht war er ein Literat, ein Chinese, der wenigstens die unterste der großen Staatsprüfungen abgelegt hatte. Nun hatte auch die dritte Tafel ihren Kreis.
Da drangen die näselnden Töne chinesischer Schalmeien zu ihnen, gefolgt von dem erneuten ohrenbetäubenden Geknatter abbrennender Feuerwerkskörper. Die beiden Deutschen beobachteten, wie sich die junge Frau erhob. Sorgsam setzte sie mit Hilfe der beiden Mönche die Tafeln mit den Zeichen in einen Kasten, der auf einem mit roten Tüchern geschmückten Traggestell angebracht war. Anscheinend sollte es eine kleine Prozession geben.
In diesem Moment entdeckte sie die beiden Fremden. Sie stieß einen leisen Schrei aus. Dann presste sie eine Hand vor den Mund. Ihre Augen waren weit aufgerissen vor Furcht. Sie wirkten riesig in dem mit weißem Puder fast maskenhaft geschminkten Gesicht.
Konrad würde diese Augen niemals vergessen. Auch nicht das Entsetzen darin beim Anblick der beiden Europäer. Einen kurzen Moment stand er wie festgenagelt.
Der Karren-Besitzer war inzwischen ebenfalls in den Tempel gekommen und begann zu zetern. Offensichtlich wollte er, dass seine beiden Fahrgäste diesen Ort verließen.
Konrad zerrte Rathfelder aus dem kleinen Tempel. «Was haben die Leute hier gemacht?»
Der Schwabe zuckte die Schultern. «I woiß net genau. Ich glaub, diese Chinesin hat Ahnentafeln beseelt. S’ischt ein taoistischer Brauch. Jede Tafel schteht für einen toten Verwandten. Manche Chinesen denken, dass die
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