Die Korallentaucherin
zu führen. Würde es noch das gleiche sein?
»Eine schwere Entscheidung, wie?«, drang Isobel in sie.
»Ja. Ich glaube, ich sollte es versuchen, um uns beiden gegenüber fair zu sein. Schließlich erwarten wir ein Kind. Aber weißt du was? Wenn ich unser gemeinsames Leben in den vergangenen Jahren und besonders während der Zeit hier auf Branch betrachte, dann hatten wir kaum etwas gemeinsam. Vielleicht ist das nicht ungewöhnlich für junge Paare mit arbeitsintensiven Berufen. Wenn er aufsteht, bin ich schon weg, wenn er nach Hause kommt, schlafe ich. Unsere Interessen überschneiden sich kaum.« Sie atmete tief durch. »Ich versuche, seine Erwartungen zu erfüllen, mische mich unter die Gäste und spiele die Gastgeberin und so weiter. Ich muss mir größere Mühe geben.«
»Und er auch«, sagte Isobel.
Später suchte Jennifer ihren Arbeitsplatz neben Rudis Labor auf. Sie breitete Macs Unterlagen vor sich aus und studierte sie. Ja, entschied sie, das würde sie schaffen. Und sie wollte es tun.
»Hi. Störe ich?« Tony Adams schaute durch den Türspalt. »Du bist ja früh dran.«
»Komm rein. Ich fange ein neues Projekt an, studiere weiter.«
»Du hast das Buch für den todlangweiligen Professor fertig?« Er setzte sich und streckte seine langen Beine aus. Er trug Khaki-Shorts, ein blaues Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln und eine Baumwollweste mit zahlreichen Taschen. In ihren Augen sah er genauso aus, wie man sich einen Auslandskorrespondenten vorstellte.
»Ja. Er ist zufrieden. Hat Mac mit dir darüber gesprochen, dass ich ein Buch über Gideons Leistungen schreiben will, über das Haimobil-Ding und über Isobel? Aber ich möchte nicht das gleiche Thema wie du bearbeiten, will dir nicht auf die Zehen treten.«
»Zweierlei Leserschaft. Wir gehen von verschiedenen Perspektiven aus. Aber es wäre hilfreich, wenn wir zusammenarbeiten würden. Es ist eine Unmenge Material.« Er klopfte seine Taschen ab, zog aus einer eine Stange Pfefferminzdrops heraus, schob sich eines in den Mund und bot mit nachdenklichem Gesicht Jennifer eines an. »Ich spüre, dass uns da eine tolle Story erwartet. Oder gar mehrere. Kann es noch nicht genau benennen.«
Sie warf ihm die Pfefferminzdrops zu, und er steckte sie in die Tasche und strich die Klappe glatt. Sie grinste. »Was hast du in all den Taschen?«
»Alte Gewohnheiten. Aus dem Krieg, aus Zeiten der Flucht. Alles, von Schokolade über Brillen, Kuli, Digitalkamera, amerikanische Dollars bis zu Zigaretten.«
»Du rauchst?«
»Nein. Früher mal, aber dann habe ich es aufgegeben. Indem man amerikanische Zigaretten anbietet, bekommt man viele Menschen zum Reden. Früher zumindest. Nun, was ist dein Eindruck von dieser Insel?«
»Von der Insel im Ganzen? Weißt du, so klein sie auch ist, erscheint sie mir doch wie drei verschiedene Staaten oder drei verschiedene Stämme. Da ist einmal die Ferienanlage mit dem Personal und den Touristen, dann ist da die Forschungsstation mit den Wissenschaftlern, und zuletzt sind da Gideon und die Natur.«
Beide lachten.
»Und das Riff da draußen als lebendige Grenze, die Eindringlinge in Schach hält«, fügte Tony hinzu.
»Angeblich hat Captain Cook das Riff entdeckt. Aber es gibt Hinweise darauf, dass portugiesische und spanische Forscher schon Jahrhunderte vor 1770 hier gewesen waren. Und ich habe wissenschaftliche Abhandlungen darüber gelesen, wie Riffe entstehen, und auch ein paar faszinierende frühe Betrachtungen über Korallen.«
Er zog einen kleinen Notizblock aus einer Tasche und las laut vor. »Der Dichter Ovid und der römische Schriftsteller Plinius beschreiben Korallen als weiche Unterwasserpflanzen, die an der Luft erhärten. Und zwei Jahrtausende später erkennt ein französischer Wissenschaftler, dass Korallen aus winzigen Tieren bestehen. Was zuvor als Blume betrachtet wurde, sind in Wirklichkeit eher umgekehrte Quallen – Cnidaria.«
»Das Riff ist also eine lebendige Formation. Jede Generation wächst auf den Skeletten ihrer Vorfahren, bis die Kolonien Hunderte von Jahren alt sind und die Riffe sich über Tausende von Kilometern ausdehnen«, sagte Jennifer. »Und sie sind unglaublich schön.«
»Besonders, wenn man sie unter Wasser betrachtet. Aber mich macht neugierig, was Gideon und Isobel suchen, das, was tief unter dem Riff liegt. Glaubst du an Tiefsee-Ungeheuer?«
Jennifer schauderte. »Ich mag nicht einmal daran denken. Die Unterwasserforschung überlasse ich gern dir, danke.«
Isobel erschien an der
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