Die Korallentaucherin
interessierst dich für Meeresforschung? Wir haben gelegentlich auch mit den Leuten von der Forschungsstation zu tun. Sie sind allerdings nur mit einer Einladung in der Ferienanlage zugelassen. Und das beruht auf Gegenseitigkeit, denn wir alle müssen unsere Arbeit erledigen, und der gesellige Verkehr wird auf ein Minimum beschränkt. Manchmal hält der eine oder andere von den Wissenschaftlern einen Vortrag für die Gäste.«
Blair bemerkte die Schärfe in ihrem Tonfall und beschloss, den neuen Mitarbeiter aus der Schusslinie zu bringen. »Wir müssen jetzt weiter; wir haben noch einiges vor uns.«
»Ich wünsche dir einen schönen Aufenthalt«, sagte Rosie.
Gordon Blake bedachte sie mit einem höflichen Lächeln und ging mit Blair davon. Tja, wie es aussieht, lässt er sich überhaupt nicht von mir einschüchtern, dachte Rosie. Die Arroganz des reichen Sohnes. Warum ist er hierhergeschickt worden? Ist das der neue Trend, die Söhne lieber in die Tropen zu schicken statt zu einer Viehstation im Outback? Sie würde Doyley bitten, den jungen Blake im Auge zu behalten und zu beobachten, wie er sich einfügt.
Jennifer merkte nicht, wie die Zeit verging. Zuerst hatte sie sich sehr zögerlich ihren Weg am Rand des freigelegten Korallenriffs gesucht. Sie war froh über ihren »Schäferstab«, der ihr half, das Gleichgewicht zu halten, wenn sie über sandige Stellen durchs Wasser watete, um dann auf die toten Korallen zu steigen. Tümpel und kleine Priele sammelten sich zwischen den Kalksteinbrocken, gebildet aus Millionen und Abermillionen Korallenablagerungen und Kadavern von Mollusken, Würmern, Algen, Seeigeln, Seesternen und Schwämmen, die im Lauf der Zeit zu einem steinharten Riff geworden waren.
Tony bückte sich und hob einen Korallenklumpen auf.
»Isobel hat von der Macht des Individuums gesprochen. Ein einziger Korallenpolyp scheidet Kalk aus und umgibt sich mit einer harten Schale, dann multiplizieren sich die wachsenden Polypen zu Kolonien, die zu Städten werden, dann zu Ländern, zu ganzen Korallennationen! Indem sie sterben, bilden und schaffen Lebewesen wunderschöne Formen.«
»Und innerhalb ihrer Grenzen alle möglichen Bewohner. Die Guten, die Bösen und die Hässlichen. Sehr phantasievoll«, ergänzte Jennifer.
»Das Faszinierende ist die symbiotische Beziehung zwischen allem. Die winzigen Algen, die in Korallengewebe leben, nutzen das Sonnenlicht, um die Korallen mit Sauerstoff und Kohlenhydraten zu versorgen, während die Koralle den Pflanzen Wohnung, Kohlendioxyd und Abfallprodukte als Dünger bietet. Die Nahrungskette reicht von winzigen Plankton-Lebewesen bis zu den großen Walen. Und alle sind voneinander abhängig. Dass unsere Welt so aufgebaut ist!« Er seufzte.
»Aber ist nicht sauberes Wasser mit der richtigen Temperatur das Wichtigste für das Riff?«, fragte Jennifer.
»Da liegt der Hase im Pfeffer. Die globale Erwärmung vernichtet anscheinend große Teile des Riffs. Macs Leute erforschen die Auswirkungen. Ganz zu schweigen von der Wasserverschmutzung.«
»Sogar hier draußen … Schwer zu glauben, nicht wahr?«, sagte Jennifer.
Tony deutete auf einen leuchtend orangefarbenen Fächer aus weichen Korallen, der träge in einem Gezeitentümpel schwankte. »Mich faszinieren die Farben. Warum sind manche Fische und Korallen so leuchtend bunt? Und andere wiederum bestens getarnt? Was meinst du, ob Tiere die Farben genauso wahrnehmen wie wir?«
»Einer der Graduierten studiert die Farbsicht von Meeresbewohnern und ihre Wahrnehmung der Umgebung. Offenbar haben Riff-Fische und kleine Lebewesen wie Krabben eine viel komplexere Retina als wir«, erklärte Jennifer.
»Ich glaube, in meinem nächsten Leben komme ich als Meeresbiologe auf die Welt. Da gibt es so viel zu erforschen, und man hat ein recht schönes Leben.« Tony lachte. »Was interessiert dich am meisten im Hinblick auf die Arbeit der Leute von der Forschungsstation?«
»Da gibt es so vieles! Andys Akustik-Forschung ist faszinierend. Wir wissen vom Gesang der Wale und der Sprache der Delphine, diese Klack- und Klickgeräusche. Aber die Vorstellung, dass Fische kommunizieren, ist schon merkwürdig.«
»Er entschlüsselt Vibrationen, Unterwasser-Schallwellen?«
»Ja. Ich vergleiche es mit diesem hochtönigen Pfeifen, das wir nicht hören, wohl aber Hunde. Aber kommunizieren sie mit Hilfe von Flossenbewegungen, Schwimmblasen, Kiemenfächeln? Wer weiß? Und wie komplex sind ihre Botschaften?«
Tony schüttelte den Kopf.
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