Die Kornmuhme (German Edition)
zurückgezogen und schliff sein Schwert mit einem
Stein. Als er Ranjas Stimme und ihren besorgten Tonfall hörte, schaute er auf.
Dann erhob er sich und ging zu den beiden Frauen am Feuer. Lioba bemerkte es
nicht und auch merkte sie nicht, wie die Dunkelheit um sie herum zu wachsen
begann. Denn in ihrer Seele war es sowieso Nacht geworden, und ihre Lippen
hatten kein Gebet mehr. Gottes Wege sind unergründlich hatte der heilige Goar
immer gesagt, wenn er über die vielen Rückschläge und Gefahren sprach, die er
in den Jahren seiner Suche erlebt hatte.
>>Hätte ich euch früher
gefunden, so hätte Lioba euren Sohn noch nicht unter ihrem Herzen
getragen<<, hatte er immer gesagt, wenn Zweifel an der Allmacht Gottes in
ihnen aufkam.
Dass die Wege des Schöpfers unergründlich
waren, hatte ihnen immer Mut gemacht, und sie hatte in den letzten Jahren
eigentlich gelernt, inständig auf Gottes Wirken zu vertrauen, auch wenn es
manchmal nicht sichtbar war. Nun jedoch konnte Lioba nicht mehr in dieser Weise
denken. Sie glaubte sich von ihrem Gott verlassen. Er hatte nicht über David
gewacht.
Verzweifelt suchte sie nach
Antworten. Was hätte der heilige Goar zu diesen Geschehnissen zu sagen gehabt?
Gehörte es zu Gottes Plan, ihren Jungen sterben zu lassen? Oder war es schlichtweg
unwichtig, ob er lebte oder starb? Sein Auftrag war vielleicht schlussendlich
erfüllt, und er hatte unter Umständen eine Kette von Ereignissen losgetreten,
die in die Freiheit führen würden. Sie haderte mit Gott und verstieß ihn aus
ihrem Herzen.
>> Lioba <<, sagte
Reinulf sogleich, als er ihren Gesichtsausdruck sah. >> Sag doch!
<<
Sie schüttelte den Kopf, und er
wusste, was es war. Sie nahmen sich in den Arm und drückten sich. Auch Ranja
begriff nun Liobas Blick und zweifelte nicht an der Ahnung ihrer Mutter. Sie
konnte nur kreidebleich dasitzen und ihre Eltern anschauen, wie sie sich
aneinander festhielten, und doch jeder für sich alleine mit seinem Schmerz
kämpfte.
Plötzlich klopfte es. Alle
erschraken und hielten den Atem an. Dann noch einmal. Nach langem Zögern stand
Reinulf auf, nahm sein Schwert wieder in die Hand und öffnete vorsichtig die
Türe. Sofort entspannte sich sein Körper, als er Wolf Kirkbach erkannte, und er
stieß sie ganz auf, so dass Ranja und Lioba den Kaufmann ebenfalls sehen konnten.
>>Wolf! <<, sagte er
überrascht. Wolf schaute ihn ernst an und sagte zunächst nichts. Dann begann
er: >>Reinulf…hör mal…ich hab nicht viel Zeit. Ich wollte euch nur sagen,
dass…<<, er suchte nach Worten und machte eine längere Pause. Dann fasste
er sich ein Herz.
>>Reinulf … dein Junge ist
tot<<
Ranja, sah wie schwer es ihm fiel,
dies auszusprechen, und ein Schleier aus Tränen legte sich über ihren Blick.
Sie hörte nicht mehr, was Reinulf und Wolf noch sprachen. Sie sah nur ihre
Mutter an, die immer noch regungslos und ohne eine Miene zu verziehen, an ihrem
Platz saß und ins Feuer starrte.
Wolf hatte nichts gesagt, was
Lioba nicht schon wusste, das sah Ranja ihr an. Reinulf schloss bald darauf die
Türe und setze sich zu Lioba ans Feuer. Wieder nahmen sie sich in den Arm und
schwiegen lange. Es war still hier drinnen, bis auf ein leises Schluchzen, das
Lioba von sich gab. Das Feuer knackte dann und wann. Schatten tanzten an den
Wänden und draußen in der Ferne begann es zu Grollen, als rolle ein Gewitter
heran.
Ranja stierte in die dunkele Ecke,
die sich hinter ihren Eltern neben dem Schrank auftat. Diesmal glaubte sie ganz
deutlich zu sehen, wie sich der Schatten an der Wand immer mehr ausweitete. Sie
blinzelte und schaute noch einmal genauer hin. Irgendwie war er still und
heimlich gewachsen, obwohl das Feuer diesmal nicht kleiner geworden war.
Plötzlich breitete sich ein grotesk schnell wachsender, schwarzer Fleck über
die gesamte Wand aus. Jetzt bekam sie mit einem Mal das Gefühl, als ob sie
etwas Bösartiges aus diesem wachsenden Geschwür heraus anstarrte, ja, als würde
eine tödliche Gefahr von ihm ausgehen.
Sie suchte mit den Augen den Raum
ab und glaubte zu erkennen, dass auch die Schatten unter den Bettkästen und
oben im Gebälk größer geworden waren. Sie krochen an den Wänden entlang, wie
immer länger werdende schwarze Finger, auf sie zu. Dann mit einem Mal lösten
sie sich von der Wand und wuchsen wie Nebelschwaden in den Raum hinein. Ranja
wollte schreien, doch sie konnte es nicht. Der eiserne Griff der Angst lähmte
sie, und sie musste zusehen, wie sich die Dunkelheit über den
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