Die Kornmuhme (German Edition)
von Magie. Er wollte sich
nicht versündigen, aber ebenso glaubt er fest daran, dass sein Gott seine
Gebete erhört hatte und es David ermöglicht hatte, Zagel zu treffen. Somit
hatte Gott ihm höchst selbst diesen Stein zukommen lassen.
Er nahm die kleine Schriftrolle
und öffnete sie. In schnörkeligen Buchstaben stand dort geschrieben:
Stein und Pulver für deine Zunge
bringen dich sicher zum Wettstreit
im heimlichen Grund.
Pulver für seine Zunge? Er griff
zu dem kleinen Säckel, löste das Bändchen und versuchte, Licht hinein fallen zu
lassen, indem er die Öllampe etwas höher hielt. Zunächst sah er etwas glitzern.
Dann wurde ihm klar, dass sich darin ein schimmernder Puder befand. Vorsichtig
tauchte er seinen Finger hinein, zögerte aber dann. Er würde sich doch nicht
einfach irgendetwas in den Mund stecken, von dem er gar nicht wusste, was es
bewirken würde. Ihm wurde unwohl.
Nachdenklich betrachtete er seinen
Finger. Zagel war ein Spieler und er würde sich die Möglichkeit eines
Wettkampfes nicht entgehen lassen. So würde das Pulver sicherlich nur Gutes
bewirken. Er versuchte sein schlechtes Gefühl zu unterdrücken, schickte ein
Stoßgebet in den Himmel und lutschte das bittere Pulver nach einem schier
endlos lang andauernden inneren Zwiegespräch nun doch vorsichtig von seinem
Finger. Auf seiner Zunge prickelte es ein wenig. Danach verschwand diese
Empfindung. Er wartete noch eine ganze Weile, ob etwas Eindrucksvolles
passieren würde. Doch nichts geschah.
Auch wenn sein Herz pochte, und er
eigentlich eine andere Vorstellung von seiner baldigen Reise gehabt hatte,
keimte mehr und mehr der Wunsch in ihm auf, David zu rächen, und er vergaß
seine Angst für einen Moment. Sollte er als Knecht bei Ansgar sein Leben
fristen? Bestimmt nicht! Er verdiente so wenig, dass es noch einige Jahre
dauern würde, bis er genug zusammen gespart hätte, um Urmitz verlassen zu
können. Ja, er konnte die Enge und die Trostlosigkeit einfach nicht mehr
ertragen. Alle waren erstarrt in diesem Dorf. Die Angst war allgegenwärtig und
jeder bemühte sich, nicht allzu ausgelassen zu sein. Wurde es in der Wirtschaft
etwas lauter, so mahnten sie sich bald gegenseitig wieder zur Vorsicht und
verstummten, um der Alten im Wald keinen Anlass zu geben, auf sie aufmerksam zu
werden.
Freude und Lachen hatte Aron hier
nur selten wirklich erlebt. Das Leben war hart in Urmitz. Die Bauern hatten
ihre liebe Not, die Felder zu bestellen und aus der Milch der Tiere Käse und
Butter zu machen. Nur selten hatte einer genug, so dass er ein Schaf schlachten
konnte oder ein Huhn. Denn alle im Dorf leisteten eine Art Abgabe an Gryla.
Regelmäßig entließen sie Tiere in die Wälder, weil sie glaubten, die Alte damit
milder stimmen zu können.
Am Fenster hörte er ein leises
Scharren. Aron stand vom Bett auf und öffnete die Fensterläden. Der Wind
schnitt eisig ins Zimmer. Auf dem Dachfirst vor der Luke sah Aron im Mondlicht
einen Raben hin und her tapsen, der kleine, vierzackige Abdrücke im Schnee
hinterließ. Er streckte dem Vogel die Hand entgegen, doch der Rabe wich ihm
aus, erhob sich und flog mit breiten Schwingen in südlicher Richtung davon.
Arons Augen folgten ihm, bis sein
Blick an dem fernen Dach von Reinulfs Hütte hängen blieb, die ärmlich und
zusammengesunken zwischen den Häusern der anderen kauerte. Im ersten Moment
fiel ihm nichts Ungewöhnliches auf. Dann zögerte er und schaute noch einmal
genauer hin. Erst im zweiten Moment fiel ihm auf, was es war. Der Kamin rauchte
nicht! Es musste bitterkalt in der Hütte sein, denn selbst wenn sie alle das
Haus verließen, brannte das Feuer bei diesen Temperaturen weiter. Das war
merkwürdig und beunruhigte ihn ein wenig.
Ihm wurde heiß als er an David
dachte. Er hatte den Tod des Jungen am Tage von sich weg geschoben, nun holten
ihn die Gedanken mit voller Macht wieder ein. In ihm stieg mit einem Mal das
wilde Verlangen auf, sich in dieses Abenteuer einfach hineinzustürzen und David
zu rächen. Schnell schloss er die Läden, drehte sich entschlossen um und kramte
in der Holztruhe am Kopfende seines Bettes nach seiner Wollweste und den dicken
Stiefeln. Er besaß auch noch einen alten Fellumhang, den er sich jetzt
ebenfalls umwarf. Er packte Zagels Sachen zurück in den Beutel und steckte ihn
ein. Dann nahm er die wenigen Unzen, die er die letzten Monate über gespart
hatte aus seinem Bettkasten, löschte das Licht, und stieg langsam die Stufen
hinab in die Wirtschaft.
Weitere Kostenlose Bücher