Die Kornmuhme (German Edition)
verhalten geht ein Athem
Und ein Summen durch die Weite.
Sieh! da schreitet riesenmächtig
Schwarz wie Nacht zum Himmel
ragend,
Schwarz vom dunklen Hemd umflossen
Ein gespenstisch Weib im Korne.
Niederfallen rings die Aehren
Wie vom Schnitter hingebreitet,
Und die blauen Blumen welken,
Werden weiß wie blaue Lippen.
Thränentropfen weint die Mutter,
Brandig stirbt beträuft die Aehre,
In den Himmel ragend schreitet
Ernst die Nacht im Tag von dannen.
Stumm und schweigend in die Bläue
Webt sie sich des heißen Himmels
Und im schwülen Glanz der Sonne
Ist sie endlich ganz verschwunden.
Schwül und schweigend glüht der
Mittag,
Schlummert tief im Sonnenzauber,
Flimmernd bebt der blaue Aether,
Müde neigt das Korn die Aehre. (1)
Ganz hatte er dieses Gedicht nie
verstanden, hatte lange darüber nachgesonnen, was genau es wohl bedeuten mochte.
Noch ahnte er nicht, dass er Teil dieser Legende werden würde, dass er selbst
eine Schicksalsfigur war. Dass er es war, den eine alte Hexe mit dem Namen
Ursul in ihrer Vision gesehen hatte. Sie hatte Bilder empfangen von einer
möglichen Zukunft – einer Zukunft, die sich noch nicht manifestiert hatte.
Bilder, die sie als schlechtes Omen deutete. Nicht weniger, als das gesamte
Geschlecht der Magischen stand auf dem Spiel.
Wirre Bilder von dem brennenden
Kornfeld der Muhme, und von Aron als Auslöser der Ereignisse. Würde sie ihn
nicht aufhalten, so würde etwas Ungeheuerliches geschehen. Eine andere Vision
kam ihr außerdem immer wieder in den Kopf: Sie sah Aron, dessen Namen sie jetzt
noch nicht kannte, in Hoxberg auf der Straße stehen. Um ihn herum lagen leblose
Körper. Es war Nacht, und sie sah sich in Irrgrims Körper und auf Aron
zustürmen. Sie fühlte geradezu, wie sie zum finalen, tödlichen Schlag ausholte,
und sah die Todesangst und die Hilflosigkeit in seinen Augen.
Sie wusste, dass sie nur diesen einen
Moment, dieses winzige Zeitfenster hatte, um ihn zu töten, und dass sie es
nicht verpassen durfte! Würde sie scheitern, dann würden eine Kette von unguten
Ereignissen unabwendbar ihren Lauf nehmen - eines käme zum anderen, und am Ende
würde ihre zweite Vision Wirklichkeit werden, nämlich das Bild vom brennenden
Feld der Muhme in dem tausende Seelen ihres Geschlechts verbrannten.
Sie hatte sich entschieden, ihren
bisherigen Körper aufzugeben. Er war zu weit weg vom Geschehen – zu mühselig,
die Blume dorthin zu bringen. Irrgrim war nun ihr neuer Wirt. Den Körper in
Irminsul würde sie bald sterben lassen. Er war eh alt und kränklich geworden.
Wie es zum Brand auf dem Feld
kommen würde, warum genau das Feld in Gefahr war, alle Umstände und die Gründe
dahinter waren der Hexe nicht bekannt, aber dass sie diesen Jungen töten
musste, das war ihr ganz gewiss und deshalb hatte sie Irrgrim - diese
unglückliche Seele - zu ihrem Reittier auserkoren.
Er war ihr am erreichbarsten
erschienen, da sie ihn unterhalb des Feldes gespürt hatte. Zudem war er die
düsterste Seele gewesen, die sie in diesem Moment in ihrer Reichweite hatte
finden können. Denn nur eine Seele, in der es schon Dunkelheit gab, würde ihr
wiederstandslos Einlass gewähren. Der Hang einer solchen Seele zum
Zerstörerischen konnte sie sich zunutze machen, und öffnete ihr Tür und Tor in
seinen Verstand, konnte sie leicht verführen und lenken.
18
Irrgrim blieb stehen und horchte.
Er war geradewegs in den Raunewald hineingelaufen, ohne sich der Gefahr bewusst
zu sein, der er sich aussetze. Wie ein leichtsinniges kleines Tier, das im
Winter unbedacht auf der weißen Schneedecke umhertaperte und so für jeden
Greifvogel leichte Beute wurde, so war er nun ebenfalls geradewegs lautstark in
den Raunewald hineingestapft.
Dann jedoch spürte er plötzlich
die Gefahr, auch wenn er nicht wusste, worin dieses Gefühl seinen Ursprung
hatte. Es war Ursul, die ihn leise warnte, da sie Grylas Anwesenheit spürte.
Und Gryla - sie wusste nichts über Irrgrim und seine wichtige Mission. Wäre sie
nicht blind in ihrer Raserei gewesen, so hätte sie sich einen Angriff auf ihn
besser auch erspart.
Sie war jedoch in ihrer
einfältigen Boshaftigkeit unübertroffen und wurde fuchsteufelswild, wenn jemand
in ihr Gebiet eindrang, ohne um Erlaubnis zu bitten - egal um welches höhere
Wesen es sich handelte. Andere Geschöpfe, sogar die ihrer eigenen Art, empfand
sie stets als Bedrohung. Und als Gryla nun, ebenfalls wie tot auf ihrem Lager
liegend, mit ihrem
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