Die Kreatur
gewarnt und sie gebeten, noch mehr als sonst auf Sicherheit bedacht zu sein. Infolgedessen hatte Vicky die Haustür und die Hintertür abgeschlossen und im Parterre kein Fenster offen gelassen.
Obwohl sie wusste, dass sie kein Schloss und keinen Riegel übersehen hatte, rief die Stille sie zur Vorsicht.
Sie stieg die Stufen hinunter und drehte eine Runde durch das Wohnzimmer, Carsons Schlafzimmer mit dem angrenzenden Bad und durch die Küche, um zu überprüfen, ob sämtliche Türen und Fenster noch gesichert waren. Sie fand alles so vor, wie sie es, soweit sie sich erinnern konnte, zurückgelassen hatte.
Hinter halb zugezogenen Jalousien und hauchdünnen Stores war es dämmerig im Erdgeschoss. Jedes Mal wenn Vicky eine Lampe anschaltete, um sich die Inspektion zu erleichtern, schaltete sie die Lichtquelle hinter sich wieder aus, sowie sie ihre Runde fortsetzte.
Carsons Zimmer war der einzige Bereich im Parterre, der mit einer Klimaanlage ausgestattet war. Das Gerät war am Fenster angebracht und dort festgeschraubt. Man konnte es nicht entfernen, ohne einen Heidenlärm zu veranstalten, der einen Eindringling schon lange, bevor er sich Zutritt verschaffen konnte, verraten hätte. Im Moment war die Klimaanlage ausgeschaltet; wie ähnliche Geräte in Vickys und Arnies Zimmern wurde sie nur benutzt, um das Schlafen zu erleichtern.
Bei geschlossenen Fenstern war es in diesen unteren Räumen heiß und stickig. In der Küche öffnete sie die obere Tür des Kühlschranks mit Gefrierfach, aber nicht etwa, weil sie etwas aus dem Eisfach nehmen wollte, sondern weil der eisige Zug, der ihr ins Gesicht wehte, sich erfrischend anfühlte.
Nachdem sie wieder in ihr Zimmer im ersten Stock zurückgekehrt war, stellte sie fest, dass die unnatürliche Stille im Haus sie weiterhin beunruhigte. Es erschien ihr wie die Stille einer hoch erhobenen Axt, die noch nicht zum Fall ansetzt.
Einfach lachhaft. Sie jagte sich selbst Angst ein. Gruselte sich am helllichten Tage.
Vicky schaltete ihren CD-Spieler an und drehte die Lautstärke, da Carson nicht zu Hause war und sich daran stören konnte, etwas höher als sonst.
Es war eine Sammlung von Hits verschiedener Interpreten. Billy Joel, Rod Stewart, The Knack, Supertramp, The Bee Gees, Gloria Gaynor, Cheap Trick.
Die Musik ihrer Jugend. Arthur hatte sie gebeten, ihn zu heiraten. Sie waren so glücklich miteinander gewesen. Die Zeit hatte damals keine Bedeutung gehabt. Sie glaubten, sie würden ewig leben.
Sie wandte sich wieder dem Brief zu, an dem sie vor dieser Unterbrechung gesessen hatte, und sang die Stücke auf der CD laut mit. Die Musik und die Erinnerungen an glücklichere Zeiten hoben ihre Stimmung und vertrieben das bedrückende Schweigen.
Den Boden des Hauses erdrückend dicht über sich, von den Gerüchen der nackten Erde und des feuchten Schwamms umgeben und in Dunkelheit eingehüllt, hätte sich bei einem anderen möglicherweise Klaustrophobie eingestellt, die sich dann zu akuter Panik und dem Gefühl ausgewachsen hätte, lebendig begraben zu sein. Randal sechs dagegen, Kind der Barmherzigkeit , fühlt sich geborgen und findet es urgemütlich.
Er lauscht der Frau, die nach unten kommt und von einem Zimmer ins andere geht, als suchte sie einen Gegenstand, den sie verlegt hat. Dann geht sie wieder in den ersten Stock.
Als er hört, wie die Musik von hoch oben im Haus zu ihm hinunterdringt, weiß er, dass seine Chance gekommen ist. Übertönt vom Rock ’n’ Roll werden die Geräusche, die er machen wird, um ins Haus der O’Connors zu gelangen, wohl kaum Aufmerksamkeit auf ihn lenken.
Er hat den Kriechraum gründlich erkundet und ist erstaunt über seine eigene Waghalsigkeit. Je weiter er sich von den Händen der Barmherzigkeit entfernt, sowohl räumlich als auch zeitlich, desto mehr lässt seine Agoraphobie nach und desto größer wird sein Verlangen, seine Grenzen weiter zu stecken.
Er blüht auf.
Nicht nur durch die Betonpfeiler, auf denen das Haus thront, wird der Kriechraum unterbrochen, sondern auch durch Wasserrohre, die hineinführen, und Abwasserrohre und Kanalisationsrohre nach draußen und weitere Röhren, in denen elektrische Leitungen gelegt sind. All diese Zu- und Ableitungen führen durch den Boden des Hauses.
Selbst wenn es Randal gelänge, eine dieser Rohrleitungen auseinander zu nehmen, wäre keine der Öffnungen groß genug, um sich durch sie hindurchzuzwängen.
Er hat aber auch eine Falltür gefunden. Sie misst etwa neunzig Zentimeter in
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