Die Kreatur
Und wie.«
»Warum fürchtest du dich?«
»Ich bin an einen Stuhl gefesselt.«
»Der Stuhl kann dir nichts tun. Findest du es nicht albern, sich vor einem Stuhl zu fürchten?«
»Tu das nicht.«
»Was soll ich nicht tun?«
»Verhöhne mich nicht.«
»Wann hat Randal dich jemals verhöhnt? Randal hat dich niemals verhöhnt.«
»Ich fürchte mich nicht vor dem Stuhl.«
»Aber das hast du doch selbst gerade eben gesagt.«
»Ich fürchte mich vor dir.«
Er ist ehrlich überrascht. »Vor Randal? Weshalb sollte man sich vor Randal fürchten?«
»Du hast mich geschlagen.«
»Nur ein einziges Mal.«
»Du hast sogar sehr fest zugeschlagen.«
»Du bist nicht tot. Siehst du? Randal tötet keine Mütter. Randal hat beschlossen, Mütter zu mögen. Mütter sind eine wunderbare Idee. Randal hat weder eine Mutter noch einen Vater.«
Vicky sagt kein Wort.
»Oh, nein! Randal hat sie nicht umgebracht. Randal ist gewissermaßen von Maschinen gemacht worden. Maschinen sind nicht wie Mütter. Sie machen sich nichts aus einem, und wenn man fortgeht, vermissen sie einen nicht.«
Vicky schließt die Augen, wie es Autisten manchmal tun, wenn ihnen alles zu viel wird, was sie zu verarbeiten haben, weil eine erschreckende Menge Zeug über sie hereinbricht.
Sie ist aber nicht autistisch. Sie ist eine Mutter.
Randal überrascht es, dass er all diese neuen Entwicklungen so gut wegsteckt und sich so flüssig unterhalten kann. Sein Geist scheint allmählich zu heilen.
Vickys Aussehen dagegen ist Besorgnis erregend. Ihr Gesicht wirkt abgespannt. Sie sieht krank aus.
»Bist du krank?«, fragt er.
»Ich fürchte mich so sehr.«
»Hör auf, dich zu fürchten, okay? Randal möchte, dass du seine Mutter bist. In Ordnung? Jetzt kannst du dich nicht mehr vor Randal fürchten, vor deinem eigenen Sohn.«
Plötzlich geschieht etwas ganz Erstaunliches: Tränen laufen über Vickys Wangen.
»Das ist aber süß«, sagt Randal. »Du bist eine sehr nette Mutter. Wir werden glücklich sein. Randal wird dich Mutter nennen, nicht mehr Vicky. Wann hast du Geburtstag, Mutter?«
Anstelle einer Antwort schluchzt sie. Sie ist so gefühlvoll. Mütter sind sentimental.
»Du solltest dir zum Geburtstag einen Kuchen backen«, sagt er. »Wir werden feiern. Randal kennt sich mit Festen aus. Er war noch nie auf einem, aber er weiß Bescheid darüber.«
Sie lässt den Kopf hängen und schluchzt weiterhin. Ihr Gesicht ist ganz nass von den Tränen.
»Randals erster Geburtstag ist in acht Monaten«, teilt er ihr mit. »Randal ist erst vier Monate alt.«
Er stellt den Rest des Erdbeerbananeneises ins Gefrierfach. Dann bleibt er am Tisch stehen und schaut auf sie hinunter.
»Du bist das Geheimnis des Glücks, Mutter. Randal braucht Arnie nicht mehr, damit er es ihm verrät. Randal wird jetzt seinen Bruder besuchen.«
Sie hebt den Kopf mit weit aufgerissenen Augen. »Arnie besuchen? «
»Randal muss herausfinden, ob zwei Brüder in Ordnung gehen oder ob das ein Bruder zu viel ist.«
»Was soll das heißen, ein Bruder zu viel? Wovon redest du? Warum willst du zu Arnie?«
Ihr Wortschwall und die Eindringlichkeit ihrer Stimme lassen ihn zusammenzucken; seine Ohren scheinen zu summen. »Sprich nicht so schnell. Stell keine Fragen. Randal stellt die Fragen. Mutter antwortet.«
»Lass Arnie in Ruhe.«
»Randal glaubt, dass es hier genug Glück für zwei gibt, aber vielleicht ist Arnie nicht dieser Meinung. Randal muss von Arnie hören, dass zwei Brüder in Ordnung sind.«
»Arnie redet so gut wie gar nicht«, sagte sie. »Es hängt von seiner Stimmung ab, ob er überhaupt bereit ist, sich auf dich einzulassen. Er kapselt sich ab. Dann ist es, als sei die Burg echt und er mitten darin , in der Burg eingesperrt. Dann kann es passieren, dass er dich gar nicht wirklich hört.«
»Mutter, du redest zu laut, zu viel und zu schnell. Lautschnelles Reden klingt hässlich.«
Er geht auf die Tür zum Flur zu.
Sie hebt ihre Stimme: »Randal, binde mich los. Binde mich los, und zwar sofort! «
»Du benimmst dich jetzt gar nicht mehr wie eine nette Mutter. Schreien erschreckt Randal. Schreien ist nicht Glück.«
»Okay. In Ordnung. Langsam und leise. Bitte, Randal. Warte. Bitte, binde mich los.«
Auf der Schwelle zum Flur wirft er einen Blick zurück auf sie. »Warum?«
»Damit ich dich zu Arnie führen kann.«
»Randal findet ihn auch allein.«
»Manchmal versteckt er sich. Er ist sehr schwer zu finden, wenn er sich versteckt. Ich kenne all seine liebsten
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