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Die Kreatur

Die Kreatur

Titel: Die Kreatur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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Ordnung.«
    Jetzt hatte eine leichte Schüttellähmung den Kopf und die Hände des Pastors befallen, anders als sein bisheriges nervöses Zittern.
    Deucalion suchte zwei Pralinen aus und nahm sie aus der Schachtel. Die erste steckte er Laffite zwischen die Lippen, und der Pastor lutschte sie.
    Für sich selbst hatte er, wie sich jetzt herausstellte, eine Praline mit einer Kokosnussfüllung ausgesucht. In den zweihundert Jahren seines Lebens hatte er nichts gegessen, was so süß geschmeckt hatte, und er sagte sich, vielleicht läge es daran, dass die Umstände im Gegensatz zu der Kokosnussmasse so bitter waren.
    »Ob mit geschlossenen oder mit offenen Augen«, sagte Pastor Laffite, »habe ich entsetzliche Halluzinationen, lebhafte Bilder von solchen Gräueln, dass ich keine Worte finde, um sie zu beschreiben.«
    »Dann wollen wir es nicht noch länger hinauszögern«, sagte Deucalion und stieß seinen Stuhl vom Tisch zurück, um aufzustehen.
    »Und Schmerzen«, sagte der Pastor. »Starke Schmerzen, die ich nicht unterdrücken kann.«
    »Ich werde dir keine zusätzlichen Schmerzen bereiten«, versprach Deucalion. »Meine Kraft ist viel größer als deine. Es wird schnell gehen.«
    Als Deucalion sich hinter Laffites Stuhl stellte, tastete der Pastor blind nach seiner Hand. Dann tat er etwas, was man
von einem Angehörigen der Neuen Rasse niemals erwartet hätte, etwas, wovon Deucalion wusste, dass es die Jahrhunderte, ganz gleich wie viele, nicht aus seinem Gedächtnis würden löschen können.
    Obgleich sein Programm weitgehend ausfiel und sein Verstand ihn verließ – oder vielleicht gerade deshalb –, zog Pastor Laffite Deucalions Handrücken an seine Lippen, drückte einen zärtlichen Kuss darauf und flüsterte: »Bruder.«
    Im nächsten Moment brach Deucalion dem Geistlichen das Genick. Er zerstörte seine Wirbelsäule mit solcher Kraft, dass der Gehirntod augenblicklich eintrat, sodass der quasi unsterbliche Körper diese Verletzung auch ganz bestimmt nicht mehr beheben konnte.
    Trotzdem blieb er noch eine Weile in der Küche. Damit er ganz sicher sein konnte. Und als eine Art Ehrung des Toten.
    Die Nacht stemmte sich gegen die Fenster. Draußen lag eine brodelnde Stadt. Und doch konnte Deucalion jenseits der Scheibe nichts sehen, nur tiefe Dunkelheit und unerbittliche Schwärze.

58
    Nachdem das Ding in dem Glasbehälter, dieser Unbekannte, ihren Namen ausgesprochen und Ansprüche auf sie angemeldet hatte, die nichts Gutes verhießen, verweilte Erika keinen Moment länger in dem verborgenen viktorianischen Salon.
    Ihr gefiel nicht, wie rau diese Stimme geklungen hatte. Oder wie zuversichtlich.
    Von der Schwelle des Zimmers wäre sie fast kühn in den Gang geeilt, bevor ihr auffiel, dass die Stäbe, die wie Borsten aus den Wänden ragten, wieder surrten. Ein überstürzter Abgang
würde zu einem Wettkampf zwischen ihrem brillant manipulierten Körper und vermutlich etlichen Tausend Volt Elektrizität führen.
    Wenn sie auch außerordentlich zäh und widerstandsfähig war, so war Erika Helios doch nicht Scarlett O’Hara.
    Vom Winde verweht hatte in einem Zeitalter gespielt, in dem noch kein Strom in Privathaushalten zur Verfügung stand; demzufolge war Erika nicht sicher, ob diese literarische Anspielung treffend war, aber sie war ihr trotzdem durch den Kopf gegangen. Den Roman hatte sie selbstverständlich nicht gelesen, aber vielleicht enthielt er eine Szene, in der Scarlett O’Hara während eines Gewitters vom Blitz getroffen worden war und es unbeschadet überlebt hatte.
    Erika trat behutsam vor und blieb stehen, wie sie es getan hatte, als sie vom anderen Ende dieses Gangs gekommen war. Wie schon vorhin spießte sie ein blauer Laserstrahl auf, der von der Decke kam, und tastete sie ab. Entweder das Erkennungssystem wusste, wer sie war, oder es erkannte, und das war eher anzunehmen, was sie nicht war: Sie war nicht das Ding in dem Glasbehälter.
    Die Stäbe hörten auf zu surren und ließen sie ungehindert passieren.
    Sie schloss eilig die massive Stahltür und schob die fünf Riegel vor. In weniger als einer Minute hatte sie sich hinter die nächste stählerne Barriere zurückgezogen und auch diese Tür gesichert.
    Trotzdem schlugen ihre synchronisierten Herzen weiterhin schnell. Es wunderte sie, dass solche Kleinigkeiten wie eine körperlose Stimme und eine versteckte Drohung sie derart aus der Fassung gebracht hatten.
    Diese plötzliche anhaltende Furcht, die in keinem Verhältnis zu ihrem Auslöser

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