Die Kreatur
stand, schien auf eine abergläubische Reaktion hinzudeuten. Erika aber war natürlich frei von jedem Aberglauben.
Die instinktive Natur ihrer Reaktion ließ sie argwöhnen, dass ihr unbewusst klar war, was in der bernsteinfarbenen Substanz innerhalb dieses Glasbehälters gefangen gehalten wurde, und dass ihre Furcht diesem tief in ihrem Innern begrabenen Wissen entsprang.
Als sie das Ende des ersten Gangs erreichte, wo sie ursprünglich durch einen schwenkbaren Bereich des Bücherregals eingetreten war, fand sie einen Knopf, der diese Geheimtür von der Rückseite der Bücherwand aus öffnete.
Sowie sie in die Bibliothek zurückgekehrt war, fühlte sie sich wesentlich sicherer, obwohl sie von so vielen Büchern umgeben war, die mit so vielen potentiell verderblichen Einflüssen gefüllt waren.
In einer Ecke befand sich eine Bar, die mit schweren Kristallgläsern und den erlesensten geistigen Getränken bestückt war. Als eine blendend programmierte Gastgeberin wusste sie, wie man jeden erdenklichen Cocktail mixte, um den ein Gast sie bitten könnte, doch bisher war sie noch nicht in einer Situation gewesen, die diese gesellschaftliche Fertigkeit erfordert hätte.
Erika trank gerade Cognac, um ihre Nerven zu beruhigen, als sie Christines Stimme hinter ihrem Rücken sagen hörte: »Mrs Helios, verzeihen Sie, dass ich das sage, aber ich habe den Verdacht, Mr Helios wäre außer sich, wenn er sähe, dass Sie direkt aus der Karaffe trinken.«
Erika war gar nicht bewusst geworden, dass ihr ein solcher Fauxpas unterlaufen war, aber als ihre Aufmerksamkeit jetzt darauf gelenkt wurde, sah sie, dass sie tatsächlich, wie ihr vorgeworfen wurde, Rémy Martin aus der exquisiten Lalique-Karaffe pichelte, und ein paar Tropfen rannen sogar an ihrem Kinn herunter.
»Ich war durstig«, sagte sie, doch sie stellte die Karaffe verlegen zurück, verschloss sie wieder mit dem Stöpsel und tupfte ihr Kinn mit einer Serviette ab.
»Wir haben Sie gesucht, Mrs Helios, um uns wegen des Abendessens zu erkundigen.«
Alarmiert warf sie einen Blick auf die Fenster, und als sie feststellte, dass die Dunkelheit hereingebrochen war, sagte Erika: »Oh. Habe ich Victor warten lassen?«
»Nein, Ma’am. Mr Helios muss länger arbeiten und wird sein Abendessen im Labor einnehmen.«
»Ich verstehe. Und was soll ich jetzt tun?«
»Wir servieren Ihnen das Abendessen, wo Sie wollen, Mrs Helios.«
»Das Haus ist so groß. Es hat so viele Zimmer.«
»Ja.«
»Könnte ich das Abendessen irgendwo zu mir nehmen, wo es Cognac gibt – ich meine, in einem anderen Raum als ausgerechnet hier in der Bibliothek mit all diesen Büchern?«
»Wir können Ihnen überall im ganzen Haus Cognac zum Abendessen servieren, Mrs Helios – obwohl ich vielleicht vorschlagen dürfte, dass Wein zum Essen angemessener wäre.«
»Natürlich wäre Wein angemessener. Und ich hätte tatsächlich gern eine Flasche Wein zum Abendessen, eine angemessene Flasche, die sich perfekt mit dem ergänzt, was die Köchin zubereitet hat. Seien Sie so freundlich, und suchen sie eine besonders angemessene Flasche zur Abrundung des Essens für mich aus.«
»Ja, Mrs Helios.«
Anscheinend verspürte Christine nicht den Wunsch nach einem weiteren so intimen und intensiven Gespräch wie dem, das sie im früheren Verlauf des Tages in der Küche miteinander geführt hatten. Sie schien das Verhältnis fortan auf eine förmlichere Ebene stellen zu wollen.
Das ermutigte sie, und daher beschloss Erika, ihre Autorität als Dame des Hauses geltend zu machen, wenn auch huldvoll. »Aber bitte, Christine, servieren Sie mir außerdem auch gleich noch eine dekantierte Flasche Rémy Martin, und sparen Sie
sich einen Weg, indem Sie ihn gleichzeitig mit dem Wein bringen. Dann brauchen Sie sich später nicht noch einmal zu bemühen. «
Christine musterte sie einen Moment und fragte dann: »Hat Ihnen Ihr erster Tag hier gefallen, Mrs Helios?«
»Er war ziemlich ereignisreich«, sagte Erika. »Anfangs schien es mir ein so stilles Haus zu sein, dass man fast meinen könnte, es sei langweilig, aber hier scheint doch stets etwas zu passieren.«
59
Das Frage-und-Antwort-Spiel mit Arnies Mutter lässt sich zwar gut an, doch jetzt stellt Randal sechs fest, dass sich sein Vorrat an Eröffnungszügen für ein Gespräch recht schnell erschöpft. Er isst das Kilo Erdbeerbananenmix fast zur Hälfte auf, bevor ihm wieder eine Frage einfällt.
»Du scheinst dich zu fürchten, Vicky. Fürchtest du dich?«
»Ja.
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