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Die Kreuzfahrerin

Die Kreuzfahrerin

Titel: Die Kreuzfahrerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nowicki
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Kopf. Immer wieder musste sie sich darüber wundern, wie flink sich Hilde trotz ihrer Körperfülle doch bewegen konnte.
    Als sich die Sonne bereits wieder den Baumwipfeln zuneigte, sahen sie in nicht allzu großer Entfernung Rauch aufsteigen. Auch ihr Zugtier schien nun heftigen Durst zu verspüren und Wasser zu wittern, denn es beschleunigte ganz von selbst seinen Gang. Hilde musste den Esel fest am Halfter führen, damit er ihnen nicht ein weiteres Mal entwich. Nicht weit von der Straße entfernt erblickten sie ein Haus mit einer Scheune oder einem Stall daneben. Aufmerksam um sich schauend liefen sie darauf zu, und Hilde rief mehrmals laut: „He! Hallo! Wir kommen in Frieden.“ Aber nichts rührte sich. So erreichten sie den Platz vor der Hütte. Den Esel zog es zu einer Tränke, in der Wasser stand. Hilde konnte ihn nicht davon abhalten. Schlürfend tauchte das Tier seine Nase in das Wasser. Erneut rief Hilde: „He! Ist da wer?!“ Aber sie erhielt keine Antwort. Verwundert sahen sich die Freundinnen an. Hilde schritt zur Tür und klopfte kräftig dagegen. „Hallo!“ Die Tür sprang durch das Klopfen einen Spalt weit auf. Hilde drückte vorsichtig gegen das Holz und versuchte nach drinnen zu schauen. Ursula trat zu ihr, und gemeinsam wagten sie sich ins Innere. Es roch penetrant nach verbranntem Fleisch. Der Anblick, der sich ihnen bot, ließ sie beide erstarren. Vor ihnen auf einem Tisch lag der Leib einer nackten Frau. Die Kleider waren ihr offensichtlich vom Körper gerissen worden und hingen rechts und links in Fetzen zu Boden. Beine und Arme der Frau waren an die Tischbeine gefesselt, und zwischen ihren auseinandergezwungenen Beinen klaffte schwarz und blutig ein wundes Loch. Ursula überwand sich als erste; um zu sehen, ob noch Leben in dem Körper war, schritt sie um den Tisch und erschrak noch mehr. Der Kopf der Frau hing vom Ende des Tisches herab und wurde nur noch von einigen wenigen Strängen Fleisch am Hals gehalten. Unter ihr war eine große, dunkelrote Pfütze Blut. Ursula musste sich abwenden und übergab sich. Derweil war Hilde auch einige Schritte weiter in die Stube vorgedrungen. Nun fasste sie erschauernd Ursula am Arm. In einer Ecke lag eine alte Frau mit zerschmettertem Schädel, und hinter dem Herdfeuer, das sich etwa in der Mitte des Hauses befand, entdeckten die Weggefährtinnen die Leiche eines Mannes. Seine Hände und Füße waren kohlig schwarz, und an den Rändern des Schwarzen waren große rote Brandblasen zu sehen. Auf der Brust zeugte ein großer dunkelroter Fleck davon, dass er längst keine Schmerzen mehr hatte.
    „Auf die Art und Weise kann man auch um etwas Wasser bitten“, raunte Hilde mit zitternder Stimme. „Kein Wunder, dass wir in dieser Gegend mit Steinwürfen empfangen werden. Hier waren Räuber oder Plünderer am Werk. Dem armen Teufel haben sie wohl mit Feuer die Verstecke der letzten Habe entlockt.“
    „Hilde“, Ursula musste schlucken, bevor sie weitersprechen konnte, „lass uns schnell wieder gehen. Bloß schnell weg von hier.“ Mit diesen Worten rannte sie nach draußen. Hilde kam hinter ihr her. „Warte, Ursula! Wir müssen erst unsere Schläuche füllen. Sehr weit werden wir heute nicht mehr kommen. Und wir brauchen dringend Wasser. Lass uns noch in den Schuppen dort schauen, vielleicht haben die Plünderer etwas übriggelassen. Denen hier nutzt es eh nichts mehr.“
    Ursula wunderte sich. Dass Hilde praktisch veranlagt war und dachte, war ihr längst bekannt. Aber in dieser Situation kam ihr die Freundin einfach nur hart und abgestumpft vor. Hatte Hilde so etwas schon einmal erlebt? fragte sich Ursula jetzt, da sie der Freundin in den Stall folgte.
    Wie zu erwarten gewesen war, befanden sich in dem Schuppen keine Tiere mehr und auch nichts, was die beiden wirklich hätten gebrauchen können. So gingen sie zum Brunnen und füllten alle ihre Schläuche mit Wasser. Der Esel hatte auch genug getrunken. Sie nahmen selbst ebenfalls einige kräftige Schlucke des frischen Wassers, dann setzten sie ihren Weg fort.
    In der Nacht meinten beide, im Süden den Schein eines großen Feuers zu sehen.

Auf der Heerstraße nach Konstantinopel,
29. Juli 1096
    Als Ursula und Hilde am folgenden Tag über einen Hügel kamen, bot sich ihnen ein überraschender Anblick. Vor ihnen im Tal schob sich wie ein Lindwurm der Zug der Pilger voran. Sie konnten weder den Anfang noch das Ende sehen. Auf Pferden preschten Soldaten an den Seiten des Zuges entlang. Ursula und Hilde

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