Die Kreuzfahrerin
Sachen zu packen. Hilde wandte sich Kyrilla zu: „Großmutter, danke, vielen Dank für deine Gastfreundschaft: Ich denke, Straton hat recht. Wir nehmen deine Einladung gerne an.“
Ursula strahlte, und auch die alte Kyrilla zeigte mit aufgehellter Miene, dass sie sich freute.
Später auf ihrem Lager war Ursula noch immer nachdenklich. „Was meinst du Hilde, ob wir Raimund je wiedersehen werden?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete die Freundin. „Wenn Gott es so fügt, werden wir uns wiedertreffen. Vielleicht sogar in Jerusalem.“
„Jerusalem“, langsam sprach Ursula den Namen der Stadt, „Jerusalem soll noch größer und prächtiger sein als Konstantinopel. Kannst du dir das vorstellen, Hilde?“
„Nein, kann ich nicht. Alles, was ich hier bereits gesehen habe, erscheint mir so reich und wunderbar, ich kann mir nicht ausdenken, was es noch mehr geben könnte. Doch Jerusalem ist die Heilige Stadt, der Mittelpunkt der Welt.“
„Wie weit mag es noch bis dorthin sein?“
„Bisher konnte mir niemand etwas Genaues sagen“, antwortete Hilde. „Die einen sagen, es seien nur noch fünf oder sechs Wochen, andere sagen, es wären noch bestimmt einhundert Tagesmärsche ohne Pausen.“
Ursula seufzte. „Ach, wären wir doch schon da.“
Hilde lachte: „Hab Geduld, Ursula. Schau deine Holzschuhe an, sie sind unten fast völlig aufgerieben. Wenn du weiterlaufen willst, musst du dir erst neue besorgen. Und so wie mit dem Schuhwerk ist es doch mit allem. Wir müssen gut vorbereitet sein auf das, was kommt. Hier sind wir fürs erste gut aufgehoben. Unser Geld geht zur Neige, und daher sind wir angewiesen auf jene, die Geld haben und bereit sind, es für die eine oder andere Gefälligkeit herzugeben. Die Herren haben sich aber gerade erst in Franken auf den Weg gemacht.“
„Was meinst du mit Gefälligkeiten?“
„Du bist eine sehr schöne, junge Frau, so mancher Knappe oder Ritter wird gerne einige Münzen springen lassen, um dir zu gefallen, und noch mehr, wenn du bereit bist, ihnen zu gefallen.“
Ursula verstand. Doch bevor sie etwas einwenden konnte, fuhr Hilde fort: „Du weißt auch viel über Kräuter und etwas über das Heilen. Ich weiß nicht, was du noch alles von Kyrilla lernen wirst, aber auch all dein Wissen kannst du anwenden. Jenseits des Meeres wird es Kämpfe geben, und dort wo gerungen und geschlagen wird, gibt es Verletzungen. Mit deinem Können wirst du auch dadurch etwas verdienen können. Wir werden unser Glück machen, meine liebe Freundin. Glaub mir. Aber jetzt lass uns schlafen.“
Hilde drehte sich um, und nach wenigen Augenblicken hörte Ursula sie bereits ruhig und gleichmäßig atmen. Sie selbst lag aber noch lange wach und dachte über alles nach. Irgendwann kam sie zu dem Schluss, dass Hildes Plan wohl gar nicht schlecht war, und schloss auch zufrieden die Augen.
Konstantinopel,
9. August 1096
Nach dem Aufstehen am nächsten Tag und einem guten Frühmahl holten Ursula und Hilde ihre Truhe und die übrigen Sachen vom Karren. Die Truhe brachten sie in ihre Kammer. Hilde wollte den Inhalt sortieren und überprüfen. Ursula hingegen wollte mit Straton zum Hafen, um die Verschiffung der Pilger zu beobachten. Mit der Hilfe des Soldaten konnte sie über Wege und durch Gassen zum Hafen gelangen, ohne die verstopften Hauptstraßen benutzen zu müssen. Dort hatte sich fast ganz Konstantinopel versammelt, um die durchziehende Menge zu beschimpfen und zu verhöhnen. Als sie am Meeresarm angekommen waren, führte Straton Ursula an eine Stelle, von der aus sie alles gut überschauen konnte.
Eine große Anzahl verschiedenster Schiffe und Boote hatte sich im Hafen eingefunden, und auf sie drängten nun die Wallfahrer mit all ihren Tieren und ihrer Habe. Es war ein unheimliches Chaos, da es auch immer wieder Verständigungsprobleme gab. Die Seeleute einer kleinen Barke wollten nur eine Schafherde mit an Bord nehmen, aber immer wieder versuchten auch einige Pilger auf das Schiff zu gelangen. Einige fielen in das Wasser des Hafenbeckens und wurden unter großem Geschrei wieder herausgezogen. Die ersten Schiffe legten ab, und mit geblähten Segeln und kräftigen Ruderschlägen entfernten sie sich von der Mole, wo bereits ein anderes Boot den frei gewordenen Platz besetzte. Anfangs schien es, als würde der Strom derer, die über das Meer wollten, nicht abreißen. Der Raum zwischen den Schiffen und den Häusern am Hafen war von der dichtgedrängten Menschenmenge zum Bersten gefüllt. Auf
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