Die Kreuzfahrerin
etwas Rührendes. Aber Ursula staunte nicht schlecht, was man als Soldat alles erfahren konnte, wovon die meisten gar nichts mitbekamen.
Lange mussten die Frauen auf gute Nachrichten warten. Das Datum der Tag-und-Nacht-Gleiche war schon einige Tage vorbei, als ein Junge in Kyrillas Haus gerannt kam. Straton hatte ihn geschickt. Ursula und Hilde sollten zu seinem Posten an die Stadtmauer kommen. Beunruhigt folgten die Frauen dem Jungen zur Stadtmauer. Dort erwartete Straton sie mit einem breiten Grinsen. „Kommt mit“, forderte er sie auf und führte sie auf die Mauer. Oben auf dem Wehrgang stellte er sich in Pose, wies gen Westen und sagte schlicht: „Seht.“
Ursula und Hilde traten an die Brüstung und schauten auf das Land vor der Stadt. Im Sonnenlicht blitzte Metall, und im Wind wehten farbige Banner. Glänzend wie Ameisen schoben sich, soweit ihre Augen blickten, Ritterheere heran. Reiter in Rüstungen und Kettenhemden, mit Helmen, begleitet von Reitern, die Lanzen mit Wimpeln und Fahnen trugen, lange Schlangen von Wagen, die von mehreren Ochsen gezogen wurden, dazwischen Fußvolk, Lanzenträger, Bogenschützen und auch Wagen mit Frauen, dazu Mönche und Priester.
Ursula fiel Hilde um den Hals. Als beide Frauen sich wieder voneinander lösten, konnte Hilde nicht anders, als auch Straton zu umarmen, dem das im Beisein seiner Kameraden alles andere als angenehm war. Noch eine ganze Weile beobachteten die beiden Frauen die ankommende Streitmacht. Schon wurden die ersten Zelte vor den Toren Konstantinopels errichtet.
Die nächsten Tage und Wochen waren geprägt von klangvollen Namen. Die ersten Herren, die über die Prachtstraße zum Palast des Basileus ritten, waren Hugo von Vermandois, der Bruder des fränkischen Königs, und Herzog Gottfried von Bouillon. Ihnen folgten die Normannen: der Fürst Bohemund von Tarent in Begleitung seines Neffen Tankred. Ihre Ankunft wurde mit gemischten Gefühlen aufgenommen, da die Krieger aus Süditalien vor gar nicht allzu langer Zeit selbst gegen Byzanz ins Feld gezogen waren. Von Tankred waren Gerüchte zu hören, dass dieser grausame und jähzornige Krieger selbst an schlechten Tagen wenigstens ein, zwei Männer erschlagen würde.
Ursula und Hilde zog es immer wieder auf die Stadtmauer, und der Strom der ankommenden Streitmächte riss nicht ab.
Graf Raimund von Toulouse erreichte Konstantinopel mit einem riesigen Heer, Balduin von Boulogne und sogar ein Bischof, der zum päpstlichen Legaten ernannte Adhémar von Le Puy, kamen in die Stadt.
Straton hatte täglich Neues aus dem Palast für die unersättlichen Ohren der Frauen zu berichten. Kaum waren die ersten Ritter vor den Toren angekommen, da berichtete Straton, was er durch einen Diener erfahren hatte: „Der Kaiser hat heute während seines Mahles getobt. ‚Erst schicken mir die Lateiner einen dreckigen, stinkenden Mönch samt seinem Pöbel und jetzt Streitmächte, vor denen die ganze Stadt erzittert‘, hat der Basileus ausgerufen. Der ganze Hof und viele zusätzliche Berater sind in Aufruhr. Die Schar der ersten Wallfahrer zu zügeln und zu versorgen, hat die Stadt bereits hart an ihre Grenzen gebracht. Die nun ständig wachsende Kriegsmacht vor den Mauern muss nun zufriedengestellt werden, denn dieser Masse hätten selbst die Mauern Konstantinopels nicht lange etwas entgegenzusetzen.“
Die Angst war in der Stadt deutlich zu spüren. Waren anfangs noch viele Menschen zusammengeströmt, um die prunkvollen Adligen einziehen zu sehen, blieben nun die meisten Menschen in ihren Häusern und hofften darauf, dass alles gut ginge.
In den nächsten Tagen war Stratons Rede voll der Bewunderung für das diplomatische Geschick seines Herrschers. „Kaiser Alexios“, so berichtete er, „ist klüger als die Franken. Er hat die hohen Herren empfangen und ihnen Unterstützung zugesichert unter der Bedingung, dass sie ihm gegenüber einen Lehenseid ablegten.“
„Das lassen die Franken doch nicht mit sich machen“, meinte Hilde dazu.
„Doch“, entgegnete Straton. „Die Palastwache hat mir davon erzählt, einzig Herzog Gottfried von Bouillon weigere sich, den Eid abzulegen. Kaiser Alexios wird aber dafür sorgen, dass er es doch noch tut. Die Palastwache hat mir verraten, dass man dem Heer des Herzogs keine Lebensmittel mehr zuteilen wird, bis er vor dem Basileus niederkniet.“
„Wenn das mal gut geht. Glaub mir, Straton“, Hilde war sichtlich erregt, „der Herzog ist ein mächtiger Mann, und er wird nicht so
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