Die Kreuzfahrerin
die meiste Zeit zu einem Zopf geflochten getragen hatte. Sie bat Kyrilla nochmal um Teile der Pflanze, mit der sie die Kleider gewaschen hatte. Sie löste ihren Zopf, machte sich die Haare nass und zerdrückte anschließend die Stengel, wie Kyrilla es ihr gezeigt hatte. Sie goss sich den Pflanzensaft in die hohle Hand und verteilte sie dann auf ihrem Haar. Kyrilla, die ihr zugesehen hatte, hob ihren Zeigefinger, verschwand im Haus und kam kurz darauf mit einer kleinen tönernen Amphore zurück. Sie forderte Ursula auf, den Kopf in den Nacken zu legen, und träufelte ihr aus der Amphore eine ölige Flüssigkeit auf das Haar. Gleichzeitig rief sie nach Melpomene. Sie hielt Ursula ihre gekrümmten, knöchrigen Finger vor das Gesicht. „Ich kann nicht. Hände nicht gut“, sagte sie. Melpomene sah gleich, warum die Großmutter sie gerufen hatte, und begann damit, Ursulas Haarschopf zu kneten und zu rubbeln. Es schäumte, und in graubraunen Flocken fiel der Schaum auf den Boden. Kyrilla hatte frisches Wasser geholt, und Melpomene spülte damit Ursulas Haare aus. Vorsichtig versuchte sie mit gespreizten Fingern die dicken Strähnen zu entwirren. Ursula holte aus ihrer Gürteltasche den Kamm ihrer Mutter und reichte ihn Melpomene. Auch Kyrilla hatte einen Kamm gebracht, und so begannen Ursula und Melpomene Strähne für Strähne durchzukämmen. Ursula spürte, dass der Kamm sehr viel glatter durch ihre Haare glitt, als sie es gewohnt war. Nach dem ersten Durchkämmen trocknete sie sich die Haare mit einem Tuch und kämmte sie erneut. Melpomene entwich ein begeistertes „Oh!“, als sie Ursula jetzt mit offenem Haar im Sonnenlicht sitzen sah. Ursulas rotblonder Schopf leuchtete im Licht und fiel ihr in Wellen über die Schultern. Kyrilla lächelte und reichte Ursula einen silbernen, ovalen Teller. Zuerst wusste Ursula nicht, was sie damit sollte, doch dann entdeckte sie ihr eigenes Gesicht auf der polierten Fläche. Bisher hatte sie sich selbst nur hin und wieder auf der glatten Oberfläche eines Tümpels oder Wassereimers gesehen. Die spiegelnde Platte war so gut poliert, dass sie so glatt war wie die Wasseroberfläche, und Ursula konnte nicht nur das Leuchten ihrer Haare bestaunen, sondern zum ersten Mal in aller Ruhe ihr Gesicht selbst studieren. Sie sah ihre hellen Augen, die im Kontrast zu ihrer gebräunten Gesichtshaut standen, die feinen Linien der Augenbrauen und ihre, wie sie fand, kleine Nase. Ihr Mund war blassrot und hatte an den Mundwinkeln und in der Mitte einen schönen Schwung, der von der Rundung ihres Kinns unterstrichen wurde. Ursula war sehr zufrieden mit dem, was sie sah. Hilde, die gerade in den Hof trat, blieb wie vom Donner gerührt stehen. „Ursula, du siehst aus wie eine Heilige“, entfuhr es ihr. Doch Ursula, der soviel Aufmerksamkeit fast unangenehm war, hatte bereits andere Gedanken. „Komm, Hilde, ich wasche dir deine Haare. Kyrilla, was war in dem kleinen Krug?“, sprudelte es aus ihr heraus. Hilde setzte sich folgsam auf den Hocker, und Ursula löste ihr den Zopf und schüttete der Freundin Wasser über den zurückgelehnten Kopf. Melpomene hatte neuen Pflanzensaft bereitet, und Kyrilla gab auch auf Hildes Haar etwas aus der Amphore. Kräftig knetete Ursula Hildes Schopf. Auch aus dem dunkelbraunen Haar Hildes löste sich noch Schmutz, den einfaches Spülen mit Wasser nicht zu lösen vermocht hatte. Mit Hilfe Melpomenes erklärte Kyrilla Ursula die Zusammensetzung der Flüssigkeit aus der Amphore, und Ursula gab sich große Mühe, das Rezept zu behalten. Nachdem Hilde gekämmt war und ihr Haar wieder zu flechten begann, brachte Melpomene Ursula einen Streifen kräftig grünen Stoffes. Sie band Ursula damit die Haare eng am Hinterkopf zusammen und flocht auch ihr einen Zopf, doch mit den Stoffstreifen darin. Am Ende verknotete sie den Stoff. Ursula sah noch einmal in den Spiegel. Der Stoffstreifen hob sich sehr schön von der Farbe ihrer Haare ab. Das sah sehr hübsch aus. Begeistert umarmte Ursula Melpomene und bedankte sich ebenso stürmisch bei Kyrilla. Von der Haarpflege waren ihre Kleider nass, und Ursula ging mit Hilde nachsehen, ob die gesäuberten Kleider bereits trocken waren. Sie hatten Glück. Die Kleider waren wirklich bereits trocken und sahen beinahe aus wie neu. Beide eilten in die Kammer und zogen sich um. Danach fühlten sie sich fast wie neugeboren. Sie kehrten zurück in den Hof und wuschen auch noch ihre Ersatzkleider.
Am späten Nachmittag kehrte Straton zurück. Und
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