Die Kreuzfahrerin
„Nein, Kind, es ist nicht deine Schuld, und du bist auch nicht von den Stinkpilzen verzaubert“, fuhr sie dann mit besorgter Miene und ernster Stimme fort. „Gut ist es aber auch nicht. Gott hat den Menschen als Mann und Weib gemacht, damit sie sich vereinigen und Nachkommen zeugen. So ist die Natur. Aber damit es nicht Sünde ist, braucht ihr den Segen der Kirche und die Erlaubnis des Bauern.“ Sie seufzte. Dann schwieg sie und dachte nach. Schließlich erhob sie sich energisch „Komm!“, sagte sie schlicht zu Ursula und schlurfte langsam in den Wald. Suchend sah sich Ester um, und Ursula traute sich nicht, die Alte zu stören. Schließlich blieb Ester stehen. Mit ihrem Stock deutete sie auf ein Kraut „Da.“ Ursula sah die Alte verstört an. Wie konnte Ester jetzt an Kräutersammeln denken? Ester aber zog sie zu sich heran, sah sich kurz verstohlen um und sprach dann mit gedämpfter, eindringlicher Stimme zu ihr. „Pass auf, mein Kind. Hör mir jetzt gut zu. Dies ist altes, sehr altes Wissen. Niemals in deinem ganzen Leben darfst du jemandem davon erzählen. Manches Wissen ist gefährlich, und wenn es die falschen Ohren erreicht, kann es sich zu einer tödlichen Gefahr entwickeln. Das Kraut hier ist ein Frauenkraut. In ihm verborgen steckt eine Kraft, die vermag die Natur zu zügeln. Ich werde dir zeigen, wie man daraus einen Trank macht, der täglich eingenommen verhindern kann, dass eine Frau in die Hoffnung kommt. Verstehe. Die Natur, die Kirche und auch die Männer wollen, dass das Weib Kinder bekommt. Eine Geburt ist aber nichts Leichtes, und viele Frauen sind schon dabei gestorben. Viele Kinder sterben, weil ihre Mütter schwach sind oder weil es schlechte Zeiten sind. Da ist es besser, man bekommt kein Kind. Die Kraft, die in dieser Pflanze verborgen ist, wendet sich also gegen die Natur, und manche, die so etwas nicht wollen, sagen, auch gegen Gott. Daher, sprich zu niemandem, zu wirklich niemanden je darüber. Vielleicht wirst du selber einmal eine Tochter haben, wenn diese verständig und vernünftig ist, kannst du dein Wissen vielleicht mit ihr teilen, bis dahin aber, ich warne dich, mit keiner Menschenseele.“ Ester sah Ursula fest in die Augen. Noch nie hatte Ursula solch einem Blick standhalten müssen. Staunend und irgendwie feierlich flüsterte sie: „Niemanden, niemals.“
„Gut“, erwiderte Ester. „Nun sammle viel davon, und dann lass uns zurückgehen, damit ich dir zeige, wie man den Trank bereitet. Dann wirst du ab heute jeden morgen früher aufstehen, zu mir kommen, und ich werde dir davon etwas geben.“ Unter der wachsamen Anleitung Esters pflückte Ursula zwei Handvoll von dem geheimen Kraut und kehrte dann mit ihr auf den Bauernhof zurück.
Vor den Mauern Arqas,
15. April 1099
Das Scheppern von Rüstungsteilen, das Klirren von Sporen und das Wiehern eines Pferdes rissen Ursula aus dem Schlaf. Durch die Öffnung ihrer Zeltbahnen konnte sie grelles Sonnenlicht erkennen, durch das ständig irgendwelche Menschen hasteten. Jemand musste in voller Rüstung dicht an ihrem Zelt vorbeigeritten sein. Langsam richtete sie sich auf, rieb sich den Schlaf aus den Augen und merkte sogleich, dass sie schon wieder Wasser lassen müsste. „Oh, Kind, lange kann ich dich nicht mehr beherbergen.“ Mit diesem Seufzer stand sie auf und wankte noch schlaftrunken gemächlich zur Zeltöffnung. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, es war heiß, und der beißende Geruch von verbrennenden Leichen stach ihr in die Nase.
Als sie nach ihrem Gang in das Zelt zurückkehrte, entdeckte sie auf dem Tisch eine Schale mit Brei, die Hilde ihr hingestellt haben mochte. Die gute Seele. Ursula setzte sich, aß und trank einen Becher Wasser. Unter der Zeltbahn war die Luft mittlerweile stickig und noch wärmer, dennoch mochte Ursula nicht nach draußen. Schon hatte der Schweiß von ihrem Hals abwärts ein nasses, dunkles Dreieck auf dem Stoff ihres Kleides gebildet. Sie beschäftigte sich mit ihren Vorräten an Kräutern. Prüfte, ob die vielen Säckchen nach wie vor trocken waren. Eine ganze Reihe der aus grobem Stoff genähten Säcke war so gut wie leer. Es wurde höchste Zeit, dass sie sich wieder normal bewegen konnte. Die Trägheit ihrer Schwangerschaft und die mangelnde Beweglichkeit hatten sie gezwungen, auf längere Wanderungen zum Zwecke der Kräutersuche zu verzichten. Resignierend saß Ursula vor ihrer auf dem Tisch ausgebreiteten Apotheke. Sie brauchte dringend noch Brennnesseln, Fenchelsamen und
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