Die Kreuzfahrerin
sorgten dafür, dass alles, aber auch wirklich alles feucht oder sogar nass wurde. Zwar versuchte ein jeder, seine Kleider in der Wärme des Hauses wieder zu trocknen, doch selbst nach zwei Tagen wurden sogar die Sachen, die in der Nähe des Herdfeuers hingen, die Feuchtigkeit nicht mehr gänzlich los. Ursula schauderte, wenn sie morgens den schweren, klammen Wollstoff über ihren Kopf zog. Erst nach einigen Stunden in Bewegung wurde ihr wieder warm, und allen anderen ging es ebenso. Es schien, als würde die Nässe von allem, was es gab, geradezu angezogen, und dort, wo sie hinkroch, begann es zu stinken.
Als der erste Fetzen Stoff aus dem schmutzigen Schneehügel hervorlugte, schickte der Bauer Ludger zur Kirche. Er sollte dem Mönch Bescheid geben und dafür sorgen, dass ein Grab im Kirchhof ausgehoben wurde. Am Abend kehrte Ludger heim, und am nächsten Morgen holten die Männer den großen Holzschlitten, spannten den Ochsen davor und betteten den Leichnam Esters, dessen Hülle sich vor Nässe triefend eng an den Körper der alten Frau geschmiegt hatte, auf Fichtenzweige darauf. Dann machte sich die Hofgemeinschaft auf den Weg. Ursula hatte gesehen, dass Esters Überreste nach wie vor steifgefroren waren, und doch meinte sie, hinter dem Schlitten herlaufend, den süßlichen Geruch von Verwesung zu spüren. Schweigend begleiteten sie den Schlitten. Der Bauer selbst führte den Ochsen. Ludger ging auf der anderen Seite des Tieres nebenher. Die Frauen und Kinder liefen in der Spur des Schlittens hinterdrein. Sie zogen am Waldrand entlang, bis zu der Stelle, wo der schmale Weg, der zum Hof führte, in den alten breiteren Pfad mündete, der sich entlang der Höfe zum Dorf in einigen Biegungen wand. Auf dem nassen, schlammigen Untergrund glitt der Schlitten knirschend hinter dem Ochsen her. Ursula nahm kaum etwas anderes wahr. Unablässig sah sie auf den nassen Stoff und dessen Falten, in den gewickelt sie Esters Leichnam wusste. Sie sah nichts von der Gegend um sie herum, roch nur den Anflug von Holzfeuern in der Nähe der anderen Höfe, erwiderte nicht die kurzen Grüße jener, die sich von den Nachbarn dem Zug anschlossen. Für Ochs und Mensch war der Weg beschwerlich. Die Holzschuhe sogen sich voll Wasser, der Schlamm blieb daran haften, und immer wieder glitten Sohlen und Klauen rückwärts auf der Suche nach Halt für den nächsten Schritt. Niemand sprach ein Wort, und außer ihren Schritten und dem Knirschen der Schlittenkufen war nur ab und an das Zetern einer auffliegenden Meise zu hören. Von alledem drang nichts zu Ursula vor. Wie betäubt, den Blick gefesselt von einem Stückchen Stoff, das vom Schlitten hing und auf und ab wippte, stolperte sie hinter dem Zug her.
Schließlich erreichten sie das Dorf. Ochs und Mensch kamen vor der kleinen Kapelle zum Stehen.
Vor vielen Jahren hatte sich ein Wandermönch im Ort niedergelassen. Mit kräftiger Stimme hatte er nicht nur das Wort Gottes verkündet, sondern es auch verstanden, die Dorfbewohner zur Mithilfe beim Bau dieses kleinen Gotteshauses zu bewegen. Gemeinsam hatten sie ein Fundament aus Feldsteinen gelegt, eine etwa hüfthohe Grundmauer errichtet und darauf mit Stämmen und Brettern den Kirchenraum geschaffen. Von außen hätte sich der strohgedeckte Bau kaum von einer der umstehenden Katen unterschieden, wären da nicht die Grundmauer und die vier Fensteröffnungen in der Bretterwand gewesen, die, obwohl sie nicht groß waren, doch eine andere Bedeutung des Hauses vermuten ließen. Ein Fenster war ein Loch, durch das neben dem spärlichen Licht nur all das drang, was draußen bleiben sollte. Niemand hätte die Wand seines Hauses dermaßen durchlässig für Staub, Wind und Kälte gemacht. In einem Wohnhaus musste man sie verhängen und abdichten, und so hatten sie dann eh keine Funktion mehr. Doch Gott friert nicht, und wenn Sonnenstrahlen durch die Kapellenfenster und die Fugen der Bretter drangen, Dunst und Staub als helle Streifen in die Luft zeichneten, war das für die einfachen Gemüter der Gemeinde beinahe ein mystisches Erlebnis, in dem sie sich, versammelt in dem Verschlag, der Herrlichkeit des himmlischen Jerusalems ein wenig näher wähnten.
Der Mönch kam mit einem Mann um die Ecke des Gebäudes. Gemeinsam trugen sie ein breites Brett von der Länge eines Mannes. Ohne Worte stellten sie sich neben den Schlitten und hielten die Planke erwartungsvoll hin. Ludger und der Knecht griffen behutsam unter Esters Leib und hoben ihn vom Schlitten.
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