Die Kreuzfahrerin
trotzig wieder ins Dorf.
Irgend etwas war mit ihr geschehen. Ihre Traurigkeit war nicht mehr da. Sie spürte keinen Drang mehr zu weinen. So wie die Hütten, an denen sie vorbeiging, der Unrat zu ihren Füßen, der nasse Saum des Kleides, ihr feuchtes Haar und ihre Gänsehaut, so gleichgültig war ihr mit einem Mal alles um sie herum. Sie erreichte die Kapelle, lehnte sich an deren Wand und sah zu, wie Ludger und der Knecht sich mühten, mit Holzschaufeln das schwere, lehmige Erdreich zurück in die Grube zu schippen. Sie spürte den Schmerz in sich, doch was sie sah, ließ sie völlig unberührt. Außer den beiden war niemand vom Hof zu sehen. Ursula wartete, bis die Arbeit getan war, und schloss sich den Männern ohne ein Wort an.
Ludger sah sie an, und sie versuchte ein Lächeln.
„Wärst du nicht weggelaufen, hättest du auf dem Schlitten sitzen können“, war alles, was er sagte. Schweigend machten sie sich dann zu dritt auf den Heimweg. Ein paar Mal drehte sich Ludger nach ihr um. Sie erwiderte seinen Blick stumm ohne eine Regung und hielt mit den beiden Männern mit, die wegen der klammen Kälte kräftig ausschritten. Ursula spürte, wie sie unter ihrem nassen Kleid zu schwitzen begann. Die von Schlamm und Nässe schweren Holzschuhe ließen sich bei jedem Schritt nur widerwillig anheben. Zudem verlor sie auf ihren morastigen Sohlen immer wieder den Halt, und es bedurfte einiger Anstrengung, das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Unter ihrem Brusttuch heraus dünstete sie ihren eigenen Geruch, der sich mit feuchtem Laub, nassem Haar und dem flüchtigen Aroma des Nieselregens verband. Ursula sog diese Luft tief ein und biss die Zähne zusammen, um den Raum zwischen sich und den beiden Männern unverändert zu halten. Die beiden sprachen miteinander, waren also nicht annähernd so atemlos wie Ursula in ihrem einsamen Kampf gegen die schweren Schuhe und den glitschigen Schlamm. Innerlich kämpfte die junge Frau mit sich selbst. Ihre veränderte Gemütsfassung beunruhigte sie. Gerne hätte sie den Regenperlen auf ihren Wangen Tränen hinzugefügt, doch dieser Strom schien versiegt. Warum nur fühlte sie nichts mehr? Keine Traurigkeit, keine Wut, kein Verlassensein? Gerne hätte sie einige schnelle Schritte gemacht, Ludgers Hand ergriffen und ihn an sich gezogen. Sie wäre ihm gerne nahe gewesen, hätte sich gerne an seinen starken Arm gehängt. Er war aber nicht allein, und seine wenigen Blicke sahen in ihrem Gesicht kein Flehen, keine Aufforderung zu warten.
Es war bereits dunkel, als sie auf den Hof zurückkehrten. Nach dem Tag an der kühlen, frischen Luft traf Ursula beim Eintreten die feuchte, muffige, von Rauch und Tieratem geschwängerte Luft wie ein Hieb. Im ersten Moment glaubte sie, es wäre unmöglich, dieses Gemisch einzuatmen. Hastig öffnete sie den Knoten ihres Tuches und zog die stickige Luft durch die Zähne ein. Die wenigen Schritte zu ihrem Lager fand sie ohne aufzuschauen. Dort entledigte sie sich des nassen Kleides und zog das Trockene an. Nach wie vor wortlos kehrte sie zur Gemeinschaft in der Stube und zu ihren gewöhnlichen Aufgaben zurück. Ebenso wortlos nahm sie am gemeinsamen Abendbrot teil, aß allerdings nicht, sondern trank nur etwas Kräutersud. Niemand verlangte von ihr zu sprechen, keiner richtete sein Wort an sie. Zuletzt fegte sie noch die Asche rund um die Feuerstelle zusammen und begab sich dann zu ihrem Lager. Nach dem anstrengenden Tagesmarsch kam der Schlaf schnell mit einer dumpfen, traumlosen Dunkelheit in ihrem Kopf.
Auch den ganzen folgenden Tag blieb Ursula stumm. Sie tat, was man ihr auftrug, und da sie niemand etwas fragte, war sie auch zu keinem ausgesprochenen Wort genötigt. Das blieb bis zum Abend so, doch als sie alle um den Tisch herumsaßen, geschah etwas, womit Ursula nie gerechnet hätte. Obwohl sie bereits mehrere Tage nicht gesprochen hatte, verschlug es ihr die Sprache, als der Bauer sie ansprach.
„Ursula, der Platz bei den Kräutern und Töpfen von Ester ist frei, du kannst dir dein Lager dort herrichten. Dann wirst du jeden Morgen als erste aufstehen und mit Ingrid das Frühstück richten. Außerdem bist du jetzt allein für die Kräuter zuständig, ich möchte aber nicht, dass du darüber deine anderen Aufgaben vernachlässigst.“
Alle sahen sie an. Ursula wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Zuerst wusste sie gar nichts zu sagen, dann stammelte sie schnell: „Ja, ich werde alles so machen wie bisher.“
Eigentlich wollte sie
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