Die Kreuzfahrerin
getauft worden und durften in ihre Häuser zurückkehren. Im Judenviertel ist viel geplündert worden. Ich habe mit einem der Bekreuzigten gesprochen. Sie haben schon in einigen anderen Städten gewütet. Dort soll es den Juden aber noch schlechter ergangen sein, und sie wurden alle erschlagen. Die Worte des Einsiedlers haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Überall in der Stadt packen Leute ihre Sachen, verkaufen ihr Hab und Gut und heften sich ein Kreuz an die Brust. Viele machen jetzt gute Geschäfte. Ich habe mir selber heute Morgen ein Brot gekauft und konnte es für den vierfachen Preis an einen Pilger verkaufen, obwohl ich schon davon abgebissen hatte.“ Er grinste. Als er merkte, dass er mit seinem Bericht die Frauen nicht aufheitern konnte, bot er schließlich seine Hilfe an. „Ich kann euch einen Karren besorgen, auf den ihr eure Sachen laden könnt. Ihr wollt ja nicht hier hockenbleiben, oder?“ Hilde fand, das sei eine gute Idee. Der Kerl machte sich auf den Weg, und Ursula sah Hilde fragend an. „Hilde, was sollen wir jetzt machen?“
„Nun, auf jeden Fall nicht die Hände in den Schoß legen. Nein Ursula, ich weiß auch nicht recht. Bleib du hier und pass auf, ich gehe runter in die Fischersiedlung und schau, ob ich irgendeine Bleibe für uns finde. Hier“, sie drückte Ursula ihren Wanderstab in die Hand, „wenn sich jemand auch nur näher als einen Schritt an unsere Sachen oder an dich wagt, hau ihn hiermit so kräftig, wie du nur kannst.“ Die großen Augen, die Ursula daraufhin machte, brachten Hilde schon wieder beinahe zum Lachen.
Ursula blieb alleine zurück. In ihrem Kopf ging es drunter und drüber. „Bin ich an alledem Schuld?“, fragte sie sich. „Gott will es. Was will er? Ist es Gottes Wille, dass dieses Kind zerschmettert wurde? Ist es sein Wille, dem jungen Leben von Adele ein so schreckliches Ende zu setzen? Was sollen Hilde und ich nun tun? Was will Gott von uns? Will er uns strafen? Sollen wir auch das Kreuz nehmen und, um unsere Schuld zu sühnen, nach Jerusalem ziehen?“ Jerusalem. Sie erinnerte sich an die Erzählungen von Ingrid, Ester und dem Wandermönch. War das wirklich eine so herrliche Stadt mit Toren, erbaut aus Edelsteinen? Wenn es Gottes Zorn ist, der uns trifft, dann muss ich gehen, dachte sie bei sich.
Hilde kehrte zurück, und auch der Freund mit dem Karren kam wieder. „Ich bin übrigens der Xaver“, sagte er und half Hilde, eine Bank als erstes auf den Karren zu heben. Ursula sah sich den Mann zum ersten Mal genauer an. Von der Statur und den Muskeln her hatte er Ähnlichkeit mit Ludger. Er war aber einige Jahre älter, und seine Kleidung entsprach nicht der eines Bauern vom Land. „Erzähl, was weißt du noch an Neuigkeiten?“, forderte Hilde ihn auf.
„Der Graf und der Einsiedler fordern von der Stadt, dass sie die Wallfahrer verpflegen soll. Sie belagern die Brücke und das andere Ufer mit all ihren Leuten. Händler haben sich Boote gemietet und verkaufen Essen an diese Leute. Sie machen dabei enorme Gewinne. Ein Freund meines Bruders sagt, man braucht viel Geld und das Essen für wenigstens zwei Monate, um nach Jerusalem zu kommen. Andere sagen, man braucht sogar viel mehr. Doch eine von den Bekreuzigten sagte mir, die meisten haben rein gar nichts und nehmen sich unterwegs einfach, was sie brauchen. Viele sind auch in Worms und Köln zu Geld von den Juden gekommen. Ich denke, ich werde mich auch auf den Weg machen. Man sagt, im Osten seien die Städte und das Land reich, und der Papst habe nichts dagegen, wenn man sich auf dem Weg etwas aneignet. Wenn nur ein bisschen davon wahr ist, was von Jerusalem und dem Morgenland erzählt wird, so kann schon ein kleines Stückchen davon für einen Kerl wie mich reichen. Ja, ich glaube, ich werde auch gehen.“
„Ja, und morgen bist du es dann, der Frauen und Kinder erschlägt.“ Bitter kam Ursula der Vorwurf über die Lippen.
„Nein.“ Xaver wehrte sich. „Ich werde nur Turkmenen und Heiden im Heiligen Land erschlagen“, rief er entrüstet. „Schau ich habe auch schon ein Schwert.“ Er zog eine breite Klinge, etwas länger als ein großes Messer, aus seinem Gürtel und schlug damit einige Streiche in die Luft.
„Ja, ja, du wirst ein großer Held“, feixte Hilde. „Und jetzt steck das Ding weg, bevor du dich noch verletzt. Sag, von wem hast du den Karren? Damit wir ihn zurückgeben können.“
„Geschenkt. Der, dem er wohl gehörte, ist schon fort. Und ich werde jetzt auch mal meine
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