Die Kreuzweg-Legende
helfen?«
»Ja.«
»Nein, mein Freund, das können Sie wohl nicht. Es ist Schreckliches geschehen.«
»Bitte, reden Sie!«
Der Pfarrer seufzte. »Würden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen von einer Geistererscheinung berichte, die mich heimgesucht hat und versuchen wollte, die Kirche zu zerstören?«
»Ja, das würde ich!«
Nach dieser Antwort zuckte der Kranke zusammen. »Wie kommen Sie da so plötzlich zu?«
»Weil ich ebenfalls eine Geistererscheinung auf dem Weg ins Dorf gesehen habe.«
Der Pfarrer holte ein paarmal tief Atem. »War es der Reiter?« fragte er vorsichtig.
St. Immel nickte. »Das stimmt. Er kam mir entgegen.«
»Mein Gott!« flüsterte der Pfarrer mit dem weißen Haar und den eingefallenen Gesichtszügen, »dann habe ich mich also nicht getäuscht. Er reitet tatsächlich umher. Die Kreuzweg-Legende ist zu einer blutigen Wirklichkeit geworden.«
»Erzählen Sie!« bat St. Immel.
»Da gibt es eigentlich nicht viel zu sagen. Er kam mitten in der Nacht. Es war sehr warm. Ich bin noch einmal in die Kirche gegangen, und als ich sie verließ, stand er vor mir. Er saß auf einem schwarzen Pferd. Das Mondlicht strahlte ihn an. Ich sah ihn sehr deutlich, und mir fielen wieder die alten Geschichten ein, obwohl ich zuerst an einen Scherz glaubte. Ich änderte meine Ansicht, als er seine Waffe zog. Es war ein Degen, mit dem er mich bedrohte.«
»Griff er Sie an?«
»Ja, er wollte mich töten!« Der Geistliche lachte auf. Es klang bitter. »Ich weiß bis jetzt noch nicht, wie es mir gelungen ist, ihm zu entkommen. Der Herrgott muß seine schützende Hand über mich gelegt haben, anders kann ich es mir nicht vorstellen. Trotzdem erwischte er mich. Es war vor der Tür des Pfarrhauses. Ich wollte hineinlaufen, da kam er noch einmal zurück und stach mir in den Arm.«
»Das also ist Ihre Krankheit.«
»Auch, mein Lieber«, sagte der Pfarrer leise. »Auch. Zunächst dachte ich an eine Fleisch wunde. Es war nur ein fingerlanger Riß, wenn auch ziemlich tief. Zum Glück war es der linke Arm, der andere wäre schlimmer gewesen. Ich verband ihn und dachte daran, daß damit alles erledigt gewesen wäre. Das stimmt nicht. Die Sache fing erst an. Ich legte mich ins Bett und bekam Fieber, wie ich es noch nie in meinem Leben verspürt habe. Außerdem Schüttelfrost. Ich lag da und wußte nicht, was ich tun sollte. Es war grauenhaft, wie Sie sich vorstellen können. Dann schaute ich mir meine Wunde an oder wollte es. Was ich sah, ließ mich an meinen Verstand zweifeln.«
»Was ist geschehen?« fragte St. Immel.
Der Geistliche schaute dem jüngeren Mann für einen Moment in die Augen, bevor er den rechten Arm hob und die Bettdecke zurückschlug.
»Jetzt sehen Sie es«, sagte er.
St. Immel bekam die letzten Worte des Pfarrers kaum mit. Sie flössen an ihm vorbei, denn er hatte nur mehr Augen für den linken Arm des Pfarrers. Der Ärmel war in die Höhe geschoben worden, so daß der Arm fast frei vor den Blicken des jungen Mönchs lag.
Ein Arm war er nur mehr der Form nach. Alles andere stimmte nicht mehr. Besonders nicht die Farbe der Haut.
Sie war pechschwarz!
St. Immel sagte nichts.
Nur das Blut wich aus seinem Gesicht. Einen kurzen Schritt ging er zurück. Unwillkürlich legte er eine Hand auf das Kreuz, als suchte er Schutz.
»Nun?« fragte der Pfarrer.
»Das… das kann doch nicht sein.«
»Und ob es sein kann, mein Freund. Ich bin mir darüber im klaren, daß ich hier allmählich verfaule. Der Treffer dieser Degenklinge hat es bewirkt. Und ich kann nichts dagegen unternehmen. Es begann an der Wunde. Die Haut veränderte sich. Zuerst wurde sie grau, aber diese graue Farbe wich einem tiefschwarzen Ton, so wie Sie ihn jetzt sehen.«
St. Immel hatte die erste Überraschung überwunden. Er trat wieder näher an das Bett heran und senkte auch den Kopf, um besser sehen zu können.
Der Pfarrer hatte nicht gelogen. Bis zu den Fingerspitzen hatte sich die Haut verändert. Sogar die Nägel waren schwarz geworden, und der junge Eremit schüttelte sich stumm.
»Was sagen Sie?« fragte der Geistliche.
»Ich weiß es nicht. Es ist ein Zeichen des Teufels. Ja, Ihr Arm sieht aus wie der des Teufels.«
»Daran habe ich auch schon gedacht«, erwiderte der Pfarrer. »Es war nicht der Leibhaftige, der mir begegnet ist, sondern der Reiter, von dem die Legende berichtet. Er ist nicht tot, er ist aus den Schlünden der Hölle entlassen worden, um seine Greueltaten fortzusetzen. Vier Mädchen hat er damals getötet,
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