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Die Kreuzzüge

Die Kreuzzüge

Titel: Die Kreuzzüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Asbridge , Susanne Held
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Despoten Zangi im Jahr 1128 entscheidend verändert. Es ist gewiss richtig, dass dieses Jahr in der Politik im Vorderen Orient große Veränderungen mit sich brachte. Es begann mit dem Tod Tughtegins, des Herrschers von Damaskus, dem zunächst einige unbedeutende Emire aus der Buriden-Dynastie nachfolgten, was dieses Reich auf einen Weg innerer Schwäche und fortschreitenden Zerfalls brachte. Im Juni dieses Jahres nutzte Zangi, der Atabeg von Mosul, die sich immer weiter ausbreitende Zersplitterung in Nordsyrien aus, übernahm Aleppo und leitete damit eine neue Phase sicherer, energischer Herrschaft ein.
    Zangi, von dem es hieß, er sei »stattlich, braunhäutig« und habe »schöne Augen«, war ein wahrhaft bemerkenswertes Individuum. Selbst für ein brutales, von Konflikten geschütteltes Zeitalter hatte seine Fähigkeit zu ungezügelter Gewalttätigkeit legendäre Ausmaße, und es gab niemanden, der ihm an Machthunger gleichkam. Ein muslimischer Chronist gab folgende von Panik diktierte, düstere Beschreibung des Atabeg: »Er war von seinem Wesen her wie ein Leopard, im Zorn wie ein Löwe, Nachgiebigkeit war ihm fremd; Freundlichkeit kannte er nicht [. . .]. Er wurde gefürchtet für seine plötzlichen Wutanfälle, gemieden wegen seiner Brutalität, er war aggressiv, unverschämt, tödlich für seine Feinde und Untertanen.« Um 1084 wurde Zangi als Sohn eines berühmten türkischen Kriegsherrn geboren, er wuchs mitten in der Hölle des Bürgerkriegs auf, in einer Umgebung von Verrat und Mord, und so wuchs er zu einem findigen, gerissenen, skrupellosen Mann heran. Ersten Ruhm erlangte er durch die Unterstützung des seldschukischen Sultans von Bagdad nach 1120, und um das Jahr 1127 wurde er zum Statthalter von Mosul sowie zum Befehlshaber und militärischen Berater der beiden Söhne des Sultans ernannt.
    [211] Zangi stand im wohlverdienten und zweifellos von seiner Seite aus sorgfältig kultivierten Ruf von Grausamkeit und gefühlloser, ja willkürlicher Brutalität. Er war felsenfest überzeugt, dass es nichts Besseres gebe, um sich einerseits die Treue seiner Untertanen zu sichern, andererseits seine Feinde zur Unterwerfung zu zwingen, als panische Furcht. Ein arabischer Chronist gab zu, dass der Atabeg seine Truppen auch mit dem Mittel des Terrors zu kontrollieren pflegte: »Er war tyrannisch und schlug mit äußerster Rücksichtslosigkeit zu [. . .] wenn er mit einem Emir nicht zufrieden war, ließ er ihn töten oder verbannen, und die Söhne des Betreffenden wurden zwar am Leben gelassen, aber kastriert.« 20
    In Anbetracht dieser fürchterlichen Eigenschaften liegt die Erwartung nahe, dass Zangi dem Schicksal des Islams im Krieg um das Heilige Land eine entscheidende Wendung gab. In der Vergangenheit wurde er zu einer Gestalt stilisiert, die für die Geschichte der Kreuzzüge eine ganz zentrale Rolle spielte – als erster Anführer der Muslime, der einen entscheidenden Schlag gegen die Franken führte, der Vater eines muslimischen »Gegen-Kreuzzugs«, der das Feuer des Dschihads neu entfachte, ein gewaltiger Mudschahid (heiliger Krieger) und Vorkämpfer einer neuen Epoche. Und trotzdem galt für praktisch seine gesamte Laufbahn, dass sein tatsächlicher Einfluss, vor allem aber sein Interesse an der Welt der Kreuzzüge kaum der Rede wert war. Teilweise liegt das schlicht an geopolitischen Gegebenheiten. Der Atabeg überragte wie ein Koloss Mesopotamien und Syrien, mit dem einen Fuß stand er auf Mosul, der andere Fuß ruhte auf dem Gebiet westlich des Euphrat, in Aleppo. Er war gezwungen, seine Zeit, seine Energie und seine Ressourcen zwischen diesen beiden riesigen Einflusssphären aufzuteilen; er war also zeit seines Lebens gar nicht in der Lage, sich ausschließlich auf den Kampf gegen die Franken zu konzentrieren. Doch selbst diese Hintergründe, die gern als angebliche Verteidigung von Zangis Berechtigung zum Dschihad herausgestellt werden, führen in gewisser Hinsicht in die Irre, weil sie auf zwei falschen Voraussetzungen beruhen.
    Für türkische Kriegsherren wie Zangi hatten der westliche Vordere Orient (mit Syrien und Palästina) und der östliche Teil, vor allem Irak und Iran, nicht das gleiche politische Gewicht. Der Werdegang des Atabeg zeigt, dass in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts das Herzland des sunnitischen Islams nach wie vor Mesopotamien war. Dort, in Städten wie Bagdad und Mosul, gab es die größten Reichtümer und die größte [212] Machtfülle zu gewinnen. Für Zangi und

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