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Die Kreuzzüge

Die Kreuzzüge

Titel: Die Kreuzzüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Asbridge , Susanne Held
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zumeist unter Hinweis auf dessen heidnischen, polytheistischen und idolatrischen Charakter. Auch die Beziehungen zwischen den lateinischen und den levantinischen Christen waren nach wie vor von Spannungen und Misstrauen geprägt. Nachdem die Kreuzfahrer den Vorderen Orient erobert hatten, war es (wenn auch nicht auf Dauer) vorbei mit der etablierten griechisch-orthodoxen kirchlichen Hierarchie. Nach Jerusalem und Antiochia wurden neue lateinische Patriarchen berufen, und in ganz Outremer wurden lateinische Erzbischöfe und Bischöfe eingesetzt. Die Oberen dieser lateinischen Kirche gaben sich alle Mühe, ihre kirchenrechtliche Zuständigkeit zu verteidigen und solche Gewohnheiten so weit wie möglich zu beschneiden, die sie, vor allem im Blick auf das Mönchswesen, für eine gefährliche Vermischung abendländischer mit ostchristlichen Lebensformen hielten. 18
    Der fränkische Osten – Eiserner Vorhang oder offene Tür?
    Die Kreuzfahrerstaaten waren keine geschlossenen Gesellschaften, die von der sie umgebenden Welt des Vorderen Orients völlig abgeschottet gewesen wären, aber auch keine durchweg unterdrückerischen, auf Ausbeutung angelegten europäischen Kolonien. Ebenso wenig kann Outremer aber als multikulturelles Utopia gesehen werden – eine Nische der Toleranz, in der Christen, Muslime und Juden es geschafft hätten, in Frieden miteinander zu leben. In den meisten Gebieten des lateinischen Ostens lag die Wirklichkeit – wie im 12. Jahrhundert generell – irgendwo zwischen diesen beiden Extremen.
    Die herrschende westeuropäische Minderheit war in einem gewissen, [209] pragmatisch bestimmten Umfang dazu bereit, Nicht-Franken in das juristische, soziale, kulturelle und religiöse Gewebe von Outremer mit hineinzunehmen. Auch ökonomische Zwänge – angefangen bei der Notwendigkeit, einheimische Arbeitskräfte einzustellen, bis hin zur Instandhaltung der Handelswege – förderten ein gewisses Maß an fairem Umgang miteinander. Eigentlich wären hinsichtlich der Entwicklung der Kreuzfahrergesellschaft zwei einander widersprechende Tendenzen zu erwarten: zum einen, dass die anfängliche Antipathie allmählich in dem Maß nachlässt, wie die Vertrautheit zunimmt; zum andern die potentiell gegenläufige Dynamik eines wiederbelebten Dschihad-Gedankens innerhalb des Islams. Tatsächlich war keiner dieser beiden Trends sehr deutlich ausgeprägt. Von Anfang an bemühten sich Franken und Muslime um den diplomatischen Dialog, sie handelten Verträge aus und nahmen Handelsbeziehungen auf; das gilt für das gesamte 12. Jahrhundert. Und gleichzeitig fielen die Autoren beider Glaubensrichtungen im Lauf der Jahre und Jahrzehnte immer wieder in die traditionellen Stereotypen zurück, ein Hinweis auf den offenbar unüberwindlichen Argwohn und Hass auf den »Anderen«. 19
    Franken, orthodoxe Christen und Muslime, die im Vorderen Orient zusammenlebten, werden wohl im Lauf des 12. Jahrhunderts ihre wechselseitige Kenntnis voneinander etwas vermehrt haben, doch führte das nicht zu echtem Verständnis oder dauerhafter Harmonie. In Anbetracht dessen, was in anderen Weltregionen gang und gäbe war, sollte das nicht überraschen. Das Abendland des 12. Jahrhunderts war seinerseits von innerlateinischen Rivalitäten und endlosen gewalttätigen Zwistigkeiten zerrissen; soziale und religiöse Intoleranz breitete sich immer mehr aus. Unter diesen Voraussetzungen war die prekäre Mischung aus realen Kontakten und unterschwelligen Konflikten, wie sie das Klima der Levante beherrschte, nichts Besonderes. Und das Ethos des heiligen Krieges mag die fränkische Gesellschaft vielleicht beeinflusst haben, doch Outremer scheint durch die Kreuzzugsidee nicht entscheidend geprägt worden zu sein.
    Dennoch entstand durch die lateinische Besiedelung des Vorderen Orients eine bemerkenswerte, wenn auch nicht völlig einheitliche Gesellschaft – eine Gesellschaft, von der zahlreiche Kräfte und Einflüsse ausgingen. Die Lebensmuster in Outremer deuten in gewissem Umfang auf eine Akkulturation hin, und aus den erhaltenen Zeugnissen [210] künstlerischer und geistiger Bemühungen lassen sich Anzeichen einer kulturellen Verschmelzung ablesen, aber diese war sehr wahrscheinlich das Ergebnis einer ungesteuerten, organischen Entwicklung; eine Assimiliation wurde nicht bewusst angestrebt.
    ZANGI – TYRANN DES OSTENS
    Eine Zeitlang war die These sehr en vogue, die Einstellung der Muslime gegenüber Outremer hätte sich mit dem Aufstieg des türkischen

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