Die Kreuzzüge
persönlichen Vermögen sämtliche Waffen, Ausrüstungsgegenstände und Pferde – eine derartige persönliche Haftung war für einen muslimischen Kriegsherrn durchaus unüblich –, damit »das Heer wieder in einen Zustand versetzt wurde, als ob es keine Niederlage gegeben hätte«. Er ordnete außerdem an, der Grundbesitz von erschlagenen Soldaten sollte an deren Familien übergehen und nicht an ihn zurückfallen. Am bemerkenswertesten war allerdings, dass er, als die Franken im selben Jahr Waffenstillstandsverhandlungen anboten, dieses Angebot rundweg ausschlug. 10
Nur ad-Din machte sich nun daran, ein Bündnis mit den Muslimen aus dem Irak und aus al-Dschazira abzuschließen, und er versammelte ein großes Heer, um einen Vergeltungsschlag gegen die Lateiner zu führen. Im gesamten Vorderen Orient verbreitete sich die Nachricht, dass der Emir sich der frommen Übung des »Fastens und Betens« unterzog, außerdem unterstützte er in ganz Syrien und Mesopotamien zunehmend Asketen und heilige Männer, die er ersuchte, die mannigfaltigen Verbrechen der Lateiner gegen den Islam publik zu machen. Die Idee des Dschihads gewann an Kraft.
Im Sommer des folgenden Jahres war Nur ad-Din bereit zuzuschlagen, und er hatte sich gewaltige strategische Ziele gesetzt. Es gibt keine Angaben zu Truppenstärken, doch wir wissen, dass sein Heer aus Soldaten aus seinen eigenen syrischen Territorien bestand wie auch aus den [283] weit östlich gelegenen Städten Mosul, Diyar Bakr, Hisn Kifr und Mardin. Die Stärke seines Heeres erfüllte ihn offenbar mit großer Zuversicht, denn es ging ihm bei seinem Aufbruch nicht nur darum, die Christen zu einer Entscheidungsschlacht zu zwingen, sondern auch um Gebietseroberungen. Nur ad-Din setzte sich in Richtung Harim in Marsch, das seit 1158 zu Antiochia gehörte; er belagerte die Zitadelle und ließ die Festung mit Belagerungsmaschinen bombardieren. Mit einem Gegenangriff der Franken hat er sicher gerechnet. Anfang August 1164 verließ ein Heer von wahrscheinlich über 10 000 Mann, darunter 600 Ritter, Antiochia; an seiner Spitze ritten als Befehlshaber Fürst Bohemund III., Graf Raimund III. von Tripolis und Joscelin III. von Courtenay, außerdem Thoros von Armenien und der griechische Statthalter von Kilikien.
Als Nur ad-Din erfuhr, dass die Christen anrückten, verlegte er sein Heer in Richtung der lateinisch besetzten Siedlung Artah in der Ebene von Antiochia; damit wollte er seinen Feind weiter von der Sicherheitszone um Antiochia weglocken. Am 11. August dann, als die christlichen Verbündeten ein chaotisches Täuschungsmanöver in Richtung Harim unternahmen, rückte er an, um die feindlichen Truppen auf offenem Feld zu stellen. Als die Schlacht begann, unternahm die rechte Flanke Nur ad-Dins einen Scheinrückzug und verleitete damit die lateinischen Ritter zu einem überstürzten Angriff. Die christlichen Fußsoldaten blieben isoliert und ungeschützt zurück, sie wurden vehement angegriffen und schnell überrannt. Als sich nun der Verlauf der Schlacht zugunsten der Muslime wendete, brachen die berittenen Franken ihren überstürzten Vorstoß ab – allerdings nur, um sich gleich danach umzingelt zu sehen, weil Nur ad-Dins rechter Flügel seine vorgetäuschte Flucht beendete und »ihnen auf den Fersen folgte«; auf der anderen Seite wurden die christlichen Kämpfer vom Zentrum des muslimischen Heeres bedrängt. Ein arabischer Chronist beschrieb, wie »der Mut [der Christen] sank, als sie erkennen mussten, dass sie verloren waren; sie standen mitten im Getümmel und waren von allen Seiten von Muslimen umgeben«. Ein lateinischer Zeitgenosse notierte entsetzt: »Überwältigt und zerschmettert von den Schwertern des Feindes wurden [die Franken] schändlich abgeschlachtet, wie Opfertiere vor dem Altar. [. . .] Ihre Ehre bedeutete ihnen nichts mehr, alle warfen überstürzt ihre Waffen nieder und bettelten feige um ihr Leben.« Thoros floh vom Schlachtfeld; Bohemund, Raimund und Joscelin dagegen ergaben sich, »um ihr Leben zu retten, und sei es [284] auch um den Preis von Schmach und Schande«. »Sie wurden nach Aleppo gebracht, schmachvoll in Ketten, als wären sie ganz armselige Sklaven, dort ins Gefängnis geworfen, und den Ungläubigen dienten sie als Zielscheibe des Spottes.«
Nur ad-Din hatte auf der ganzen Linie gesiegt und seinen Durst nach Rache für Bouqia gestillt. Er hatte die syrischen Franken vernichtend geschlagen und eine unerwartet reiche Ernte an hochrangigen Gefangenen
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