Die Kreuzzüge
wurde Ägypten von der schiitischen Dynastie der Fatimiden regiert, die sich von den sunnitischen Herrschern in Bagdad, den Abbasiden, losgesagt hatten. Die Fatimiden schufen eine beachtliche Flotte, mit der sie zunehmend den Schiffsverkehr im Mittelmeerraum dominierten. Außerdem bauten sie nördlich von Fustat eine neue Hauptstadt, die sie Kairo (»die Eroberin«) nannten; und sie setzten einen zweiten, rivalisierenden schiitischen Kalifen (»Nachfolger« des Propheten Mohammed) ein und boten damit der bis dahin allgemein anerkannten Autorität des sunnitischen Kalifen in Bagdad die Stirn. Im 12. Jahrhundert war die von Mauern umgebene Stadt Kairo das politische Zentrum Ägyptens. Hier standen, als Zeugen des grenzenlosen Reichtums der Fatimiden, zwei fabelhaft reich ausgestattete, labyrinthische Kalifenpaläste, in deren Mauern es auch Menagerien mit exotischen Tieren und zahllose Palasteunuchen gab. Außerdem erhob sich in der Stadt die im 10. Jahrhundert erbaute al-Azhar-Moschee, ein bekanntes Zentrum islamischer Gelehrsamkeit und Theologie. Am Ende des Kanals, der zum Nil führte, befand sich auf der kleinen Insel Roda der Nilometer, eine sorgfältig kalibrierte Vorrichtung, mit der die Höhe des Wasserspiegels genau gemessen und damit der Umfang der Ernte vorausgesagt werden konnte.
In Kairo herrschten die Fatimiden, doch das antike Alexandria behielt während der Epoche der Kreuzzüge seinen Status als Zentrum der ägyptischen Wirtschaft. Der Hafen von Alexandria an der Mittelmeerküste im Westen des Nildeltas, überragt von dem einzigartigen Leuchtturm auf der Insel Pharos, hatte die perfekte Lage für den Handel mit Luxusgütern wie Gewürzen und Seide aus Asien, die durch das Rote [292] Meer und weiter nach Europa befördert wurden. Ein damals in Palästina lebender Lateiner beobachtete, dass »Menschen aus Ost und West in Scharen nach Alexandria kommen; die Stadt ist ein öffentlicher Marktplatz für beide Welten«.
Zur Zeit der Kreuzzüge hatte allerdings der Einfluss der fatimidischen Kalifen in der Nilregion stark nachgelassen, und Ägypten wurde überwiegend vom Wesir, dem wichtigsten Verwalter des Kalifen, regiert. Nach dem Tod des Wesirs al-Afdal im Jahr 1121 jedoch brach dieses politische System zusammen, und in Kairo griffen politische Intrigen um sich. Ein verhängnisvoller Kreislauf von Verrat, Grausamkeit, Verschwörung und Mord zwang das fatimidische Ägypten in die Knie. Ein muslimischer Chronist schreibt, dass »in Ägypten das Amt des Wesirs demjenigen zufiel, der der Stärkste war. Die Kalifen wurden hinter Vorhängen versteckt, und die Wesire waren praktisch die Herrscher [. . .]. Kaum jemand konnte ein Amt erringen, wenn er nicht kämpfte und tötete und ähnliche Dinge tat.« Es ging bergab mit der Nilregion, die politischen Verhältnisse wurden immer instabiler, und die einst so imposante fatimidische Flotte verfiel zusehends. Vor diesem Hintergrund eines fortschreitenden Schwächezustands war es kein Wunder, dass Ägypten bei den Herrschenden in Syrien und Palästina größte Begehrlichkeiten weckte. 1
EIN NEUES SCHLACHTFELD
In den frühen 1160er-Jahren glitt Ägypten immer tiefer ins Chaos ab. Im Jahr 1163 lag die Macht nominell in den Händen des elfjährigen Kalifen al-Adid (1160 – 1171), das Amt des Wesirs hatte Shawar inne, der frühere Statthalter von Oberägypten. Er kam zu Beginn des Jahres 1163 an die Macht, wurde jedoch innerhalb von acht Monaten von seinem arabischen Haushofmeister Dirgham entmachtet. Shawar gelang es nur knapp, lebend nach Syrien zu entkommen; Dirgham jedoch, wie so viele Usurpatoren vor ihm, »tötete viele von den ägyptischen Emiren, um das Land von Rivalen zu säubern«. Nach jahrzehntelangen internen Machtkämpfen war von der herrschenden Elite im Land nun fast nichts mehr übrig. Das geschwächte Ägypten war der Raubgier seiner christlichen und muslimischen Nachbarn wehrlos ausgeliefert.
[293] Das Königreich Jerusalem zeigte schon seit einigen Jahren starkes Interesse an Ägypten. Die Eroberung Askalons im Jahr 1153 hatte die Küstenstraße von Palästina in den Süden – die Via Maris – geöffnet, und im Jahr 1160 drohte König Balduin III., in das Land einzufallen; er gab seine Pläne später jedoch gegen die horrende Tributzahlung von jährlich 160 000 Gold-Dinaren auf. Als Balduin dann viel zu früh im Jahr 1163 starb, ohne Nachkommen zu hinterlassen, folgte ihm sein jüngerer Bruder Amalrich auf dem Thron. Der große lateinische
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