Die Kreuzzüge
Chronist von Outremer, Wilhelm von Tyrus, der unter der Herrschaft Amalrichs berühmt wurde, liefert eine verblüffend freimütige Beschreibung des neuen Monarchen. Amalrich war 27 Jahre alt; es hieß von ihm, er sei ernst und wortkarg, »ein Mann von Klugheit und Besonnenheit«; er verfügte nicht über den unbeschwerten Charme und die Eloquenz seines Vorgängers, was wohl zum Teil daran lag, dass er unter einem leichten Stottern litt. Von Statur war Amalrich »recht groß«, hatte »funkelnde Augen«, einen »sehr dichten Bart« und etwas schütteres blondes Haar. Wilhelm rühmte sein königliches »Auftreten«, musste jedoch zugeben, dass der König, obwohl er nur maßvoll aß und trank, »außerordentlich fett war, mit Brüsten wie eine Frau, die ihm bis zum Bauch herabhingen«. 2
Zu Amalrichs ersten Zielen als Monarch gehörte die Vorherrschaft Jerusalems über Ägypten. Zu diesem Zweck belagerte er – wenn auch vergeblich – die Stadt Bilbais an einem der Nebenflüsse des Nils. Obwohl die Lateiner zum Rückzug gezwungen wurden, sollte der fränkische König in den folgenden Jahren einen beträchtlichen Teil seiner Energie und seiner Ressourcen in den Kampf um die Macht in Ägypten investieren.
Schirkuh ibn Shadi in Ägypten
Auch Nur ad-Din richtete seinen Blick auf Ägpyten. Ende 1163 traf der abgesetzte Wesir Shawar in Damaskus ein; er hoffte, dort politische und militärische Unterstützung für einen Gegenschlag zu finden. Historiker haben teilweise Nur ad-Dins Entscheidung, Shawar zu unterstützen, als visionär gepriesen; Nur ad-Din habe sofort die Gelegenheit ergriffen, auf ägyptischem Boden einen neuen Stellvertreterkrieg gegen die Lateiner zu führen, aber er habe sein eigentliches Ziel nie aus dem Auge verloren, die Herrschaft über Aleppo, Damaskus und Kairo in einer Hand zu vereinigen, um das fränkische Palästina einkreisen zu können.
[294] Zunächst hielt sich Nur ad-Din allerdings eher zurück. Er wusste genau, dass ein langwieriges Engagement in Nordafrika die Ressourcen abziehen würde, die er brauchte, um seine Herrschaft über Syrien zu festigen, und er zweifelte an Shawars Verlässlichkeit als Bündnispartner (Shawar hatte versprochen, Nur ad-Din mit einem Drittel der ägyptischen Weizenernten zu entlohnen). Nach einigen Monaten jedoch war es gelungen, den Emir zum Handeln zu überreden. Seine Entscheidung hing teilweise von strategischen Erfordernissen ab, denn wenn er nicht eingriff, würden sich die Franken Jerusalems womöglich – mit verheerenden Folgen für die Machtbalance in der Levante – unwiderruflich in der Nilregion festsetzen. Allerdings berücksichtigte er auch die ehrgeizigen Ziele seines altgedienten kurdischen Heerführers Schirkuh, eines erfahrenen Veteranen, der sich Zangi in den 1130er-Jahren angeschlossen und dann auch Nur ad-Din die Treue gehalten hatte. Sogar ein lateinischer Zeitgenosse gab zu, dass Schirkuh, obwohl er durch grauen Star auf einem Auge erblindet war, »von kleiner Statur, sehr stämmig und fett und schon in fortgeschrittenem Alter«, als »fähiger, starker Krieger« gefürchtet und respektiert wurde, »begierig nach Ruhm und sehr erfahren in militärischen Fragen«. Dieser schlaue alte Kämpfer hatte sich zwar im Kreis von Nur ad-Dins Vertrauten bereits eine Machtposition erarbeitet, aber in Ägypten sah er für sich noch ergiebigere Aufstiegsmöglichkeiten. Muslimische Chronisten bemerkten, er sei »sehr begierig« gewesen, an der Spitze eines Heeres nach Nordafrika zu ziehen, und er war entscheidend daran beteiligt, dem Engagement der Zangiden in dieser Region in den folgenden Jahren Impulse zu geben und es zu prägen. 3
Nur ad-Din setzte Schirkuh im April 1164 an die Spitze einer beträchtlichen, gut ausgerüsteten Streitmacht und ordnete an, er solle »Shawar in sein Amt zurückbringen«. Zunächst verlief der Feldzug erfolgreich. Die Verbündeten drangen in Ägypten ein und bemächtigten sich der Stadt Fustat südlich von Kairo. Ende Mai war Dirgham tot – er war während eines Scharmützels von einem verirrten Pfeil aus den eigenen Reihen getroffen worden –, und der Kalif setzte Shawar wieder als Wesir ein. Nach diesem anfänglichen Erfolg jedoch verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den Verbündeten. Shawar versuchte, sich von Schirkuh mit dem Versprechen von 30 000 Gold-Dinaren als Gegenleistung für dessen Abzug aus Ägypten freizukaufen, doch der kurdische Hauptmann weigerte sich.
[295] Der neu eingesetzte Wesir
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