Die Kreuzzüge
zeitgenössischen Biographen Saladins beschrieb jenen Tag, wobei es ihm besonders darauf ankam, die persönliche Beziehung des Sultans zu Damaskus, der Stadt seiner Jugend, herauszustreichen: »Er begab sich direkt zu seinem Haus, und um ihn sammelte sich die jubelnde [318] Menge.« Auch auf seine verschwenderische Freigebigkeit wurde hingewiesen: »An jenem Tag verteilte er riesige Mengen Geld an die Leute und er zeigte sich froh und zufrieden mit den Damaszenern, ebenso wie diese mit ihm. Er begab sich in die Zitadelle, und seine Macht wurde fest begründet.« Um die Rechtgläubigkeit und Seelengröße seiner Regentschaft zu demonstrieren, begab sich Saladin zum Gebet in die große Omajjaden-Moschee; er veranlasste, dass Steuern, die nicht im Koran begründet waren, abgeschafft wurden, und untersagte Plünderungen. Später rechtfertigte er die Besetzung der Stadt als einen Schritt auf dem Weg zur Rückeroberung Jerusalems: »Sich nicht im heiligen Krieg zu engagieren ist ein Verbrechen, das nicht vergeben werden kann.« Dennoch gab es viele, die sich von Saladins markigen Worten nicht täuschen ließen – so solidarisierte sich etwa Jurdik, sein früherer Verbündeter in Ägypten, mit Aleppo. Sogar die Franken in Palästina wurden auf den sich abzeichnenden Machtkampf aufmerksam, und ein lateinischer Zeitgenosse schrieb, dass Saladins Besetzung von Damaskus »gegen die Treue verstieß, die er seinem Herrn und Meister [al-Salih] schuldete«. 3
Dennoch schlossen sich Ende 1174 mehrere Potentaten Syriens Saladin an – wohl in der Annahme, dass sie mit ihm die größten Überlebenschancen hätten –; und der Sultan konnte mit einigen überwiegend unblutigen Militärkampagnen seine Macht in Richtung Norden ausdehnen: In Homs, Hama und Baalbek (wo Ibn al-Muqaddam für seine Unterstützung gebührend entlohnt wurde, indem er das Oberkommando erhielt) übernahm er die Macht. Wieder gab er sich alle Mühe, diese Eroberungen zu rechtfertigen. Nach der Einnahme von Homs schrieb er in einem öffentlichen Bericht nach Ägypten, dass »wir diese Aktion nicht unternommen haben, um für uns selbst ein Königreich zu erobern, sondern um die Fahne des heiligen Krieges zu hissen«. Seine Gegner in Syrien waren, so seine Begründung, »Feinde geworden, weil sie die Durchsetzung unserer Absichten bezüglich dieses Krieges verhindern wollten«: Eigens wies er darauf hin, dass er bewusst die Beschädigung der Stadt Homs vermieden habe, »da ich wusste, wie nahe sie bei den Ungläubigen liegt«. Ein privaterer Brief allerdings, den er ungefähr zur selben Zeit an seinen Neffen Farrukh-Shah (einen aussichtsreichen Leutnant) schrieb, liefert eine weniger verbrämte Darstellung der Ereignisse. Darin kritisiert Saladin unverblümt den »kraftlosen Geist« der Bevölkerung von Homs, und er räumt ein, dass der »Schlüssel zu den Ländern« darin besteht, den [319] eigenen guten Ruf eines gerechten, milden Herrschers zu kultivieren. Er ging sogar so weit, über seine Zukunftsperspektiven Scherze zu machen. Sein wichtigstes Ziel war nun Aleppo, und der Name bedeutet im Arabischen (Halab) auch »Milch«. Saladin sagte die unmittelbar bevorstehenden Eroberung der Stadt voraus und fügte hinzu: »Wir brauchen nichts zu tun als zu melken, und die Stadt wird uns gehören.« 4
ALEPPO UNTER DRUCK
Anfang 1175 war Saladin so mächtig, dass er Aleppo bedrohen konnte, doch trotz seiner siegessicheren Vorhersage leistete ihm die Stadt hartnäckigen Widerstand und brachte seine Ambitionen, ganz Syrien zu beherrschen, für lange Jahre ins Stocken. Aleppos hoch aufragende Zitadelle und seine starke Garnison machten jeden Versuch eines Belagerungsangriffs zu einer Frage der Geduld und erheblicher militärischer Ressourcen. Aber auch eine erfolgreiche Belagerung hätte womöglich einen langwierigen, blutigen Konflikt nach sich gezogen, war also nicht unbedingt eine Aktion, die sich in Saladins bevorzugtem Selbstbild als einem demütigen Wächter des Islams sonderlich vorteilhaft ausnehmen würde. Der Sultan hoffte wohl, dass seine Gegner ihm einen Anlass lieferten, die Stadt anzugreifen, vielleicht indem sie al-Salih misshandelten oder gar ermordeten, doch Gumushtegin war viel zu gerissen, um sich einen so offensichtlichen Schnitzer zu erlauben. Der junge Erbe der Zangiden, Spross der rechtmäßigen Dynastie, war lebendig, als Marionettenherrscher in Aleppo, entschieden wertvoller. Gumushtegin hatte den Jungen sogar veranlasst, eine anrührende,
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