Die Kreuzzüge
tränenreiche Rede vor der Stadtbevölkerung zu halten und sie um ihren Schutz vor der Tyrannei Saladins anzuflehen.
Was Saladins Lage noch erschwerte, war die Entscheidung der Herrscher von Aleppo und Mosul, ihre Streitigkeiten beizulegen, um sich gemeinsam gegen die drohende Flut ajjubidischer Herrschaft zu stemmen. Für die nun folgenden anderthalb Jahre blieb Saladin in Syrien, wo er mit mäßigem Erfolg einige begrenzte Belagerungsaktionen vor Aleppo und einigen Außensiedlungen der Stadt durchführte. Im April 1175 und dann ein Jahr später, im April 1176, stieß er mit den vereinten Streitkräften von Aleppo und Mosul in offener Schlacht zusammen und konnte bei beiden Gelegenheiten überzeugende Siege verbuchen. Diese beiden [320] Konfrontationen vermehrten Saladins Ruhm als führender Feldherr des Islams und bewiesen die deutliche Überlegenheit seiner zunehmend erfahrenen Truppen aus Ägypten und Damaskus. In praktischer Hinsicht brachten sie jedoch keine greifbaren Erfolge. Nach Saladins Überzeugung konnte echte Herrschaft in Syrien nicht dadurch errungen werden, dass muslimisches Blut vergossen wurde, daher bemühte er sich, das Ausmaß der Kämpfe zwischen Muslimen so klein wie möglich zu halten; für seinen Sieg baute er mehr auf die Disziplin seiner Soldaten als auf martialische Grausamkeiten, und er setzte der Misshandlung von zurückweichenden Feinden, sobald sie das Schlachtfeld verlassen hatten, enge Grenzen. Seine Gegner erhielten somit die Möglichkeit, ihre Wunden zu lecken und sich neu aufzustellen.
Im Sommer 1176 scheint die Kombination von dosierter militärischer Aggression und unaufhörlicher Propaganda Wirkung gezeigt zu haben. Gumushtegin behielt – neben al-Salih – die Macht in Aleppo, und Saif ad-Din herrschte auch weiterhin in Mosul, doch wurden die Verbündeten schrittweise genötigt, einige Zugeständnisse zu machen: Im Mai 1175 bekam Saladin das Recht, über das von ihm besetzte syrische Territorium südlich von Aleppo zu herrschen; formal festgeschrieben wurde diese Abmachung durch eine Einsetzungsurkunde des Kalifen in Bagdad. Als im Juli 1176 der Friedensvertrag unterzeichnet wurde, war es Saladin klar, dass er nicht länger behaupten konnte, al-Salihs einziger Beschützer zu sein (obwohl er sich auch weiterhin als Diener der Zangiden bezeichnete); zu diesem Zeitpunkt hatte Aleppo, wenn auch in reichlich unpräzisen Formulierungen, zugesagt, Truppen für den heiligen Krieg zur Verfügung zu stellen.
Während dieser ganzen Zeit hatte Saladin mit gewissem Erfolg versucht, das Ansehen Gumushtegins und Saif ad-Dins dadurch zu untergraben, dass er ihnen wiederholt Verhandlungen mit den Lateinern vorwarf. Immer wieder schrieb er an den Kalifen und beklagte sich, diese Verräter hätten mit den Christen Verträge abgeschlossen, die durch den Austausch von Gefangenen besiegelt wurden. Darin klang seine Verurteilung des unterwürfigen Waffenstillstands an, den Ibn al-Muqaddam im Jahr 1174 mit Jerusalem vereinbart hatte. Dem Sultan ging es darum, seine eigenen syrischen Feldzüge als Maßnahmen in einem aufrechten ideologischen Kampf um die Vereinigung des Islams gegen den bedrohlichen fränkischen Feind zu präsentieren. Das war allerdings nichts als [321] rhetorische Spiegelfechterei, denn Saladin schloss in dieser Phase selbst ebenfalls zwei Waffenstillstandsverträge mit den Lateinern ab. 5
DER ALTE VOM BERG
Saladins Versuche Mitte der 1170er-Jahre, Syrien zu unterwerfen, wurden durch Einmischung der Assassinen erschwert. Damals hatte der syrische Flügel dieses Geheimordens eine sichere Basis in den Ansari-
yah-Bergen und wuchs und gedieh unter der Leitung des herausragenden Irakers Raschid ad-Din Sinan, besser bekannt als der Alte vom Berg. Sinan gab bei den Assassinen in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts fast drei Jahrzehnte lang den Ton an und galt sowohl unter Muslimen als auch unter Christen allgemein als Mann von »außerordentlicher Intelligenz«. Sinan verlangte, so Wilhelm von Tyrus, von seinen Anhängern absolute Treue und vollkommenen Gehorsam: »Ihnen ist nichts zu widrig oder zu schwer, und bereitwillig unterziehen sie sich auf seinen Befehl hin sogar den gefährlichsten Aufgaben.« 6
Im Rahmen der Auseinandersetzungen im Vorderen Orient stellten die Assassinen eine integrierte, unabhängige und nahezu unberechenbar operierende Streitmacht dar; ihre wichtigste Waffe – politische Attentate – erwies sich immer wieder als äußerst wirksam. Saladin
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