Die Kreuzzüge
Einfluss des Grafen von Tripolis zurückging, und in den letzten Jahren dieses Jahrzehnts suchte Balduin andernorts nach Orientierung und Unterstützung. Seine Mutter Agnes von Courtenay war an den Hof zurückgekehrt, und offenbar entstand zwischen ihr und ihrem früher so distanzierten Sohn eine enge Beziehung. Sicherlich wurde sie zu einer wichtigen Gestalt in seinem Leben, und es dauerte nicht lang, bis ihrem Bruder Joscelin III. das Amt des königlichen Seneschalls übertragen wurde, das höchste Regierungsamt im Königreich, zu dem die Verwaltung des Staatsschatzes und des königlichen Vermögens gehörte. Nach langen Jahren in muslimischer Gefangenschaft war Joscelin gerade erst – im Zusammenhang mit einem Vertrag, in dem Unterstützung durch das fränkische Antiochia festgeschrieben wurde – von Gumushtegin von Aleppo freigelassen worden.
Dieser Vertrag verhalf einem weiteren Edelmann zur Freiheit, der später die Geschichte Jerusalems entscheidend mitgestaltete: Rainald von Châtillon. Er war im Jahr 1161 – damals als Fürst von Antiochia – von Nur ad-Din gefangen gesetzt worden, und in den 15 Jahren seiner Haft hatte sich vieles verändert. Der Tod seiner Frau Konstanze und die Regierungsübernahme seines Stiefsohns Bohemund III. im Jahr 1163 beraubten ihn der Herrschaft über das syrische Fürstentum, doch gleichzeitig verhalf ihm die Heirat seiner Stieftochter Maria von Antiochia mit dem byzantinischen Kaiser zu hohem Ansehen. Als er aus der Gefangenschaft entlassen wurde, konnte er als kampfgestählter Veteran mit Beziehungen zu den höchsten Kreisen auftreten, obgleich er praktisch keine Ländereien mehr besaß. Diese Unverhältnismäßigkeit wurde schnell durch Rainalds von König Balduin abgesegnete Heirat mit der Herrin von Transjordanien, Stephanie von Milly, ausgeglichen, wodurch Kerak und Montreal zu Herrschaftsgebieten Rainalds wurden und dieser damit in die vorderste Linie im Kampf gegen Saladin geriet.
Als syrischer Fürst stand Rainald im Ruf ungezügelter Gewalt, den er sich anlässlich seines Überfalls auf die von den Byzantinern besetzte Insel Zypern verdient hatte sowie im Zusammenhang mit seinen unverschämten Versuchen, um das Jahr 1154 herum vom lateinischen Patriarchen von Antiochia, Aimery von Limoges, Geld zu erpressen. Der unglückselige Kirchenmann wurde verprügelt, zum Dach der Zitadelle [332] geschleppt und gezwungen, einen ganzen Tag dort in der brütenden Sommerhitze zu sitzen; seine geschundene Haut hatte man mit Honig beschmiert, um Insekten anzulocken. In den späten 1170-Jahren jedoch stieg Rainald in den Kreis von Balduins engsten Vertrauten und Verbündeten auf, der ihm in strategischen, diplomatischen und politischen Fragen mit klugem Rat zur Seite stand.
Ägypten und Damaskus waren unter Saladin vereint, und Balduins IV. Gesundheitszustand verschlechterte sich immer mehr. In dieser Situation unternahmen die Franken in Palästina wiederholte, letztlich allerdings fruchtlose Versuche, Hilfe von außerhalb ihrer Grenzen zu bekommen. Im Winter 1176/1177 reiste Rainald von Châtillon als königlicher Gesandter nach Konstantinopel, um mit Manuel Komnenos ein neues Bündnis zu vereinbaren. Im September 1176 waren die Byzantiner in der Schlacht von Myriokephalon (im westlichen Kleinasien) von dem seldschukischen Sultan von Anatolien, Kilidsch Arslan II. (seit 1156 Nachfolger Masuds), klar besiegt worden. Die Verluste an Männern und die Gebietseinbußen bei dieser Niederlage hielten sich in Grenzen, aber das Ansehen von Byzanz hatte sowohl in Europa als auch in der Levante ernsthaft Schaden genommen, und es machte dem Kaiser schwer zu schaffen, sich mit dieser Machteinbuße abzufinden. Da er hoffte, den griechischen Einfluss auf der internationalen Bühne wieder stärker geltend zu machen, stimmte er dem Angebot Rainalds von Châtillon zu und versprach, für eine Offensive gegen das ajjubidische Ägypten eine Flotte zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug sollte das lateinische Königreich den Untertanenstatus mit byzantinischer Oberhoheit akzeptieren, und in Jerusalem sollte wieder ein orthodoxer christlicher Patriarch eingesetzt werden.
Eine Zeitlang sah es ganz so aus, als könnte diese Unternehmung Früchte tragen. Im Spätsommer 1177 lief wie angekündigt eine griechische Flotte im Hafen von Akkon ein; gleichzeitig erreichte Graf Philipp von Flandern an der Spitze eines großen militärischen Kontingents die Levante; er war der Sohn des engagierten Kreuzfahrers
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