Die Kreuzzüge
– ein allerdings tödliches Risiko.
Am Nachmittag des 25. November befand sich der Sultan auf dem Vormarsch nach Ibelin; ein Großteil seines Heeres war über die Küstenebene verteilt, als plötzlich und unangekündigt das lateinische Heer auftauchte. Die Abteilung, die sich noch bei Saladin befand, überquerte gerade einen kleinen Fluss in der Nähe des Mont Gisard (Tell Dschazar). Als Rainald von Châtillon mit seinen Reitern zum Überraschungsangriff gegen die aufgelösten Reihen der Männer Saladins ansetzte, konnte der [335] Sultan keine wirkungsvolle Verteidigungslinie mehr aufstellen, und seine viel größere Truppe wurde schnell zum Rückzug gezwungen. Ein muslimischer Zeitgenosse räumt ein, dass das »eine komplette Niederlage war. Einer der Franken griff Saladin an, er näherte sich ihm und hatte ihn schon fast erreicht, doch wurde er ganz in der Nähe [des Sultans] getötet. Die Franken drängten ihm nach, da ergriff er die Flucht.«
Der Sultan entkam dem Schlachtfeld nur knapp, während der erbitterte Kampf weiterging. Schließlich ließen auch seine Soldaten Rüstung und Waffen zurück und rannten um ihr Leben, doch die Lateiner verfolgten sie verbissen über 15 Kilometer, und erst der Einbruch der Nacht verschaffte den Muslimen eine gewisse Ruhepause. Auf beiden Seiten waren viele Männer gefallen; auch die siegreichen Christen hatten 1100 Todesopfer zu beklagen, außerdem wurden 750 Verwundete später in das Spital des heiligen Johannes in Jerusalem gebracht. Zu den Verlusten auf muslimischer Seite sind keine genauen Angaben überliefert, aber es steht außer Frage, dass die Niederlage gravierende psychologische Konsequenzen hatte. Saladin wurde am Mont Gisard tief gedemütigt. Sein bester Freund und Berater Isa wurde von den Franken gefangen genommen und musste einige Jahre in Gefangenschaft verbringen, bevor er dann gegen die horrende Summe von 60 000 Gold-Dinaren Lösegeld freigelassen wurde. Der Sultan musste den Schauplatz fluchtartig verlassen, und sein schmählicher Rückzug nach Ägypten wurde durch einen zehn Tage anhaltenden, ungewöhnlich starken eisigen Regen verschlimmert, aber auch durch die unangenehme Entdeckung, dass die unberechenbaren Beduinen seinen Standort bei al-Arish geplündert hatten. Ohne ausreichende Nahrungs- und Wasservorräte musste Saladin den Heimweg antreten und kam Anfang Dezember 1177, geschlagen und erschöpft, wieder in Ägypten an.
Er konnte die Augen vor der Wahrheit nicht verschließen, dass seine Truppen aufgrund seiner eigenen sträflichen Nachlässigkeit besiegt worden waren und dass infolgedessen sein Ruf als herausragender Heerführer stark beschädigt war. In der Öffentlichkeit bemühte sich Saladin nach Kräften, den Schaden zu begrenzen. Er wies darauf hin, dass die Lateiner in der Schlacht mehr Männer verloren hatten als die Muslime und dass er nur deswegen so spät nach Kairo zurückgekehrt sei, weil »wir die Schwachen und Hilflosen getragen haben und uns nur langsam vorwärts bewegt haben, damit die Nachzügler [aufholen] konnten«. Saladin steckte [336] anschließend viel Zeit und Geld in den Wiederaufbau seines Heeres. Aber die Wunde, die durch die Ereignisse am Mont Gisard geschlagen worden war, ließ Narben zurück. Imad ed-Din gab zu, die Schlacht sei »ein verheerendes Ereignis, eine schreckliche Katastrophe« gewesen, und noch über zehn Jahre später, als der Sultan einräumte, dass dies »eine schlimme Niederlage« gewesen sei, war die schmerzhafte Erinnerung an dieses »fürchterliche Debakel« lebendig. 13
Familienbande
Saladin sah sich außerstande, sofort auf diese Schmach zu reagieren, weil er das schwelende Problem von Turan-Shahs Inkompetenz angehen musste. Er kehrte im April 1178 nach Damaskus zurück und enthob seinen Bruder der Regierungsgeschäfte, was ihn dann aber in eine peinliche Zwickmühle brachte. Als Ausgleich für seine Entlassung forderte Turan-Shah die Herrschaft über Baalbek, die reiche antike Stadt im fruchtbaren Biqa-Tal. Fatalerweise hatte der Sultan diese Region bereits Ibn al-Muqaddam versprochen, als Zeichen der Dankbarkeit für dessen Hilfe beim Aushandeln der Übergabe von Damaskus im Jahr 1174, und der Emir war verständlicherweise dem Gedanken höchst abgeneigt, seinen Lohn wieder herauszugeben. Aufschlussreich war der weitere Verlauf dieser Affäre in den folgenden Monaten. Einerseits kam darin eine Problematik zum Ausdruck, mit der Saladin es während seiner gesamten Herrschaft immer wieder zu
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