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Die Kreuzzüge

Die Kreuzzüge

Titel: Die Kreuzzüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Asbridge , Susanne Held
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sich nach Kräften mühten, war keiner in der Lage, bei Balduin auch nur das leiseste Zeichen von Unbehagen hervorzurufen. Zunächst schob man das einfach darauf, dass er als königlicher Spross besonders tapfer und leidensfähig war, doch:
    [. . .] als das öfter passierte und ich davon erfuhr [. . .], begann ich ihn auszufragen [und] musste feststellen, dass sein halber rechter Arm und seine Hand tot waren, so dass er das Zwicken nicht und nicht einmal Bisse spürte. Das besorgte mich sehr [. . .]. Man berichtete es seinem Vater, und nachdem die Ärzte befragt worden waren, versuchte man mit großer Vorsicht, ihm mit Umschlägen, Salben und sogar mit Zaubersprüchen zu helfen, doch es nützte alles nichts. Mit der Zeit mussten wir einsehen, dass dies der Beginn einer schlimmeren, völlig unheilbaren Krankheit war. Man kann sich der Tränen nicht enthalten, wenn man von diesem großen Unglück spricht. 9
    Tatsächlich litt Balduin unter den frühen Symptomen von Lepra. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass zu diesem Zeitpunkt bereits eine definitive Diagnose gestellt wurde. Die besten Ärzte wurden geholt, um den Prinzen zu betreuen, darunter auch der arabische Christ Abu Sulaiman Dawud, und zunächst scheint sich der Zustand des Kindes nicht weiter verschlimmert zu haben. Um Balduin in der für Ritter elementaren Kunst des berittenen Kampfes auszubilden, wurde der Bruder von Abu Sulaiman als Reitlehrer für den Jungen verpflichtet. Der Prinz lernte, ein Schlachtross nur mit den Knien zu lenken, so dass sein funktionstüchtiger [328] linker Arm eine Waffe führen konnte, und er wurde ein bemerkenswert guter Reiter.
    In den frühen 1170er-Jahren suchte Amalrich für den Fall, dass es nötig werden sollte, Balduin als Thronfolger ersetzen zu müssen, einen Ehemann für seine Tochter Sibylla. Doch als der König im Jahr 1174 unerwartet starb, hatte sich noch keine passende Verbindung für Sibylla gefunden, und das einzige überlebende Kind aus seiner Ehe mit Maria Komnena war ebenfalls ein Mädchen, Prinzessin Isabella. Balduin war alles andere als ein idealer Thronanwärter. Er entstammte einer Ehe, die annulliert worden war; er war erst 13 Jahre alt (also noch zwei Jahre von der gesetzlichen Volljährigkeit entfernt); und es war bekannt, dass er an einer auszehrenden Krankheit litt. Dennoch stimmte das Hochgericht seiner Ernennung zu, und am 15. Juli wurde Balduin vom Patriarchen von Jerusalem in der Kirche des Heiligen Grabes gekrönt und gesalbt, am bedeutungsschweren Jahrestag der Eroberung der Stadt durch die ersten Kreuzfahrer.
    Historiker pflegten die Regierungszeit Balduins IV. als eine einzige Katastrophe für den lateinischen Osten zu beschreiben. Während Saladin immer mächtiger wurde und von Ägypten aus die muslimische Welt einte, sei das fränkische Palästina von einem schwachen, kranken Monarchen zugrunde gerichtet worden. Man warf Balduin vor, weit über den Zeitpunkt hinaus, an dem er eigentlich hätte abdanken sollen, egoistisch an der Krone festgehalten zu haben, und gab ihm die Schuld daran, dass nun, da die Adligen Outremers zunehmend nach Macht und Einfluss strebten, eine Zeit erbitterter Parteienkämpfe anbrach.
    Der junge König gewann in den letzten Jahren wieder etwas an Ansehen; es wurde verstärkt hingewiesen auf die Belastung, der er wegen seines sich ständig verschlechternden Gesundheitszustands ausgesetzt war, auf sein vergleichsweise hohes Engagement zu Beginn der Regierungszeit und auf seine Bemühungen, nicht nur das Königreich zu verteidigen, sondern auch einen passenden Nachfolger zu finden. Eine Tatsache jedoch bleibt davon unberührt. Die Kreuzfahrerstaaten waren häufig von Nachfolgekrisen heimgesucht worden, die sich dann besonders verhängnisvoll auswirkten, wenn ein Herrscher plötzlich starb, sei es im Kampf, durch einen Unfall oder durch Krankheit. In Balduins Fall verhält es sich genau umgekehrt: Der durch seine Regierungzeit angerichtete Schaden reichte tiefer, eben weil der König nicht starb. Er hielt sich auf [329] dem Thron, musste allerdings die Regierungsgewalt während schlimmer Schwächephasen häufig an eine Art Regenten abgeben; diese instabile Herrschaft des Lepra-Königs versetzte Jerusalem in einen heiklen Zustand erhöhter Verwundbarkeit. 10
    In den ersten Jahren seiner Herrschaft war Balduin noch minderjährig, ein Großteil der Regierungsarbeit wurde von einem seiner Vettern, Graf Raimund III. von Tripolis, übernommen, der als Regent fungierte.

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