Die Kreuzzüge
können«. Die Franken standen in der tiefen Dunkelheit kampfbereit, ihre Kräfte aber ließen wegen ihres schrecklichen, unstillbaren Durstes stündlich nach. Gleichzeitig erhoben sich bei den Truppen des Sultans Gesänge in die Nacht, das Allahu akbar erklang und bestärkte ihren Kampfwillen, »sie ahnten ihren Triumph voraus«, und ihr Anführer traf letzte sorgfältige Vorbereitungen für seinen coup de grâce .
Die eigentliche Schlacht begann nicht gleich mit dem Anbruch des 4. Juli. Stattdessen erlaubte Saladin den Christen, ihren erbarmungswürdig langsamen Vormarsch – wahrscheinlich auf der großen Römerstraße in Richtung Osten – fortzusetzen. Er wartete darauf, dass die Hitze des [379] Tages sich ausbreitete, um die zermürbende Auswirkung des Durstes auf seine Feinde weiter zu verschlimmern. Dann legten seine Männer außerdem noch Buschfeuer, deren beißender Rauch durch die Reihen der erschöpften Lateiner zog. Später kommentierte der Sultan diesen Schritt als »Hinweis auf das, was Gott für sie in der nächsten Welt bereithält«; jedenfalls reichte es aus, um mehrere Gruppen von Fußsoldaten und sogar einige namhafte Ritter zu bewegen, die Reihen zu verlassen und sich zu ergeben. Ein muslimischer Augenzeuge beschrieb, wie »die Franken auf eine Pause hofften, und das Heer suchte verzweifelt nach einer Fluchtmöglichkeit. Doch von allen Richtungen waren sie eingeschlossen, gequält von der Hitze des Krieges und ohne eine Aussicht auf Rast.« 7
Bis dahin hatten einzelne muslimische Kämpfer die Franken zwar immer wieder schikaniert, doch die tödlichste Waffe Saladins war noch nicht zum Einsatz gekommen. In der Nacht zuvor hatte er gut 400 Pfeilbündel an seine Bogenschützen verteilt, und nun gab er ihnen den Befehl, mit einer gründlichen Attacke zu beginnen und alles niederzumähen. »Die Bogen summten und die Sehnen sangen«, als die Pfeile »wie Heuschreckenschwärme« durch die Luft flogen, Männer und Pferde töteten und »große Lücken in die Reihen [der Franken] rissen«. Die Fußsoldaten gerieten in Panik, und ihre Formation löste sich auf, woraufhin Raimund von Tripolis zu einem Angriff auf das Kontingent Taqi ad-Dins im Nordosten ansetzte, doch die muslimischen Truppen teilten sich einfach und ließen den Vorstoß ins Leere laufen. Da sie sich nun außerhalb des Kampfgeschehens befanden, beschlossen Raimund, Rainald von Sidon, Balian von Ibelin und die kleine Gruppe der Ritter, die sich ihnen angeschlossen hatte, in die Schlacht zurückzukehren und ihren Ausfall wieder gutzumachen. Ein muslimischer Zeitgenosse schrieb:
Als der Graf floh, sank der Mut [der Lateiner], und sie hätten sich schon fast ergeben. Dann jedoch erkannten sie, dass sie dem Tod nur entrinnen konnten, indem sie sich ihm kühn stellten; sie unternahmen mehrere Attacken hintereinander, mit denen sie die Muslime fast gezwungen hätten, ihre Position aufzugeben, obwohl diese so in der Überzahl waren, aber Gott stand uns gnädig bei. Jedenfalls zogen sich die Franken nach ihren Angriffen stark dezimiert zurück, sie waren entscheidend geschwächt [. . .]. Die Muslime umgaben sie wie ein Kreis seinen Mittelpunkt. 8
[380] Verzweifelt bereitete Guido ein letztes Gefecht vor, er erkämpfte sich einen Weg in Richtung Nordosten auf höheres Gelände, wo zwei markante Felsen – die Hörner von Hattin – sich gleich Wächtern an einem Bergsattel und über einem darunterliegenden Krater erhoben. Hier hatten 2000 Jahre zuvor eisenzeitliche Siedler eine primitive Bergfestung errichtet, deren alte, zerfallene Mauern den Franken immerhin noch ein Minimum an Deckung bieten konnten. Der König versammelte finster entschlossen seine Gefolgschaft unter dem Wahren Kreuz, ließ sein rotes Königszelt aufrichten und bereitete die Ritter, die ihm noch blieben, auf einen letzten, verzweifelten Angriff vor. Die Christen hatten jetzt nur noch eine Möglichkeit: direkt ins Herz des ajjubidischen Heeres, zu Saladin selbst, vorzustoßen. Denn wenn das Banner des Sultans zu Fall gebracht werden konnte, dann würde das Blatt sich wenden.
Jahre später berichtete al-Afdal, dass er neben seinem Vater schreckerfüllt zugesehen habe, wie die Franken zwei Sturmangriffe vom Bergsattel zwischen den Hörnern aus unternahmen und ihre Pferde direkt auf sie zutrieben. Beim ersten Mal konnten sie kaum aufgehalten werden, und als der Prinz sich seinem Vater zuwandte, sah er, dass dieser »außer sich war vor Gram [. . .] und völlig fahl im Gesicht«.
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