Die Kreuzzüge
ed-Din, der am 3. Oktober 1187 in Jerusalem eintraf; zum anderen einen Brief Saladins an den Kalifen in Bagdad, geschrieben kurz nach der Übergabe Jerusalems. Natürlich muss man diesen Texten nicht schon deswegen Glauben schenken, weil sie von Personen verfasst wurden, die unmittelbar an den Geschehnissen beteiligt waren; sie vermitteln vielmehr, wie der Sultan selbst das darstellte, was in der Heiligen Stadt in jenem Herbst geschehen war, und wie er die Ereignisse präsentiert wissen wollte.
Beide Quellen deuten klar darauf hin, dass Saladin Ende September 1187 die feste Absicht hatte, Jerusalem zu plündern. Imad ed-Din berichtet, dass der Sultan bei der ersten Begegnung mit Balian diesen wissen ließ: »Ihr werdet weder Straffreiheit noch Gnade erlangen! Unser einziger Wunsch ist es, euch unwiderruflich und auf Dauer zu unterwerfen [. . .]. Wir werden euch alle töten oder gefangen nehmen, wir werden das Blut der Männer vergießen und die Armen und die Frauen in die Sklaverei verschleppen.« Bestätigt wird das durch den Brief Saladins, in dem es heißt, die Reaktion auf die erste Bitte der Franken nach Übergabebedingungen habe darin bestanden, dass »wir rundweg ablehnten; wir wollten nichts anderes als das Blut der Männer vergießen und die Frauen und Kinder in die Sklaverei verschleppen«. Nun aber drohte Balian, dass die Lateiner, wenn keine gerechten Übergabebedingungen zu erreichen waren, bis zum letzten Mann kämpfen würden, dass sie die heiligen Stätten des Islams in Jerusalem zerstören und die vielen 1000 muslimischen Gefangenen umbringen würden, die sich in der Heiligen Stadt befanden. Diese rein aus der Verzweiflung geborene Ankündigung brachte den Sultan in Zugzwang, nur widerwillig stimmte er einer Vereinbarung zu. Denn folgt man den Berichten der Augenzeugen, dann bereitete es Saladin Sorgen, dass dieses Entgegenkommen als Zeichen ajjubidischer Schwäche interpretiert werden könnte. Deshalb rechtfertigt Saladin sich in seinem Brief für die Entscheidung in jeder Einzelheit; er berichtet, seine Emire hätten ihn überredet, einer Einigung zuzustimmen, um weiteren Blutzoll zu vermeiden, da der Sieg ja schon vollständig feststand. Auch bei Imad ed-Din taucht dieses Argument auf: Er beschreibt in aller Ausführlichkeit eine Versammlung, auf der der Sultan sich mit seinen führenden Hauptleuten beriet. 16
Diese Zeugnisse erlauben Rückschlüsse auf die innere Einstellung [389] Saladins im Jahr 1187. Sie belegen, dass es ihm zunächst nicht darum ging, als gerechter und großherziger Sieger dazustehen. Auch dachte er zu Beginn nicht daran, sein eigenes Handeln mit den Taten der ersten Kreuzfahrer in Beziehung zu setzen oder in einer großen Geste den Islam zur Friedensmacht zu verklären. Tatsächlich erwähnt weder der Brief des Sultans noch der Bericht von Imad ed-Din explizit das Massaker, das im Jahr 1099 in Jerusalem stattgefunden hatte. Saladin fühlte sich vielmehr gedrängt zu erklären und zu entschuldigen, warum er davon abgesehen hatte, die Franken in Jerusalem abzuschlachten, nachdem man die Stadtmauer durchbrochen hatte. Denn was er mehr als alles andere fürchtete, war ein Angriff auf seine Stellung als Vorkämpfer des Dschihads – auf ihn als Herrscher, der dem Islam mit dem Versprechen, die Franken zu bekämpfen, die Vorherrschaft der Ajjubiden aufgenötigt hatte.
Diese Einsicht muss eine Neubewertung Saladins und seiner Absichten nach sich ziehen, allerdings darf das Pendel jetzt nicht zu weit in die entgegengesetzte Richtung ausschlagen. Das Verhalten des Sultans muss in seinem Zeitkontext, also in Bezug auf die zeitgenössischen Wertvorstellungen interpretiert werden. Unter diesen Voraussetzungen agierte Saladin im Herbst des Jahres 1187 tatsächlich vergleichsweise milde. 17 Es entsprach den Gepflogenheiten der mittelalterlichen Kriegsführung – Gepflogenheiten, die im Großen und Ganzen sowohl die Muslime der Levante als auch die fränkischen Christen anerkannten –, dass die Einwohner einer belagerten Stadt, die sich einer Kapitulation bis zu dem Moment verweigerten, da ihre Verteidigungsanlagen zerstört oder überwunden waren, mit gnadenloser Härte rechnen mussten. War eine derartige Situation eingetreten, dann war normalerweise die Zeit vorüber, in der die Verteidiger noch verhandeln konnten; die Männer wurden getötet, Frauen und Kinder versklavt. Selbst wenn die Regelung, die für Jerusalem getroffen wurde, stark beeinflusst war von Balians Drohungen, so
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