Die Kreuzzüge
gewaltiges, umfassendes Ausmaß, dass eine massive Reaktion im Abendland gar nicht ausbleiben konnte. Schon in ihrer knappsten Form vermochten die Nachrichten, die Joscius von Tyros mit in die Heimat brachte, im gleichen Maß Entsetzen hervorzurufen wie zu Taten anzustacheln: Noch bevor der Erzbischof mit dem Papst zusammentraf, ging er im normannischen Königreich Sizilien an Land und hatte den dortigen Herrscher Wilhelm II. im Handumdrehen überzeugt, eine Flotte zur Verteidigung Outremers zu entsenden.
Letztlich war es dann aber die Bulle »Audita tremendi«, die den Tenor für die Predigtaufrufe zum dritten Kreuzzug vorgab. Tatsächlich war die gesamte Verbreitung der Kreuzzugsbotschaft zunehmend einer zentralisierten kirchlichen und weltlichen Kontrolle unterworfen, und die Methoden der Rekrutierung wurden immer komplexer und ausgeklügelter. Der Papst ernannte zwei päpstliche Legaten – Joscius von Tyros und Kardinal Heinrich von Albano, einen ehemaligen Abt von Clairvaux –, die jeweils den Aufruf, das Kreuz zu nehmen, in Frankreich und Deutschland organisieren sollten. Große Rekrutierungssversammlungen wurden abgehalten und die Termine so gelegt, dass sie mit hohen Kirchenfesten zusammenfielen: Im Jahr 1187 fand eine Versammlung zu Weihnachten in Straßburg statt und 1188 zu Ostern in Mainz und Paris, als schon beträchtliche für fromme Botschaften aufgeschlossene Menschenmengen zusammengeströmt waren.
Die Predigtreisen in den angevinischen Ländern Englands, der Normandie, im Anjou und in Aquitanien wurden bei Zusammenkünften in Le Mans im Januar 1188 und in Geddington, Northamptonshire am 11. Februar 1189 sorgfältig vorbereitet. Bei der Versammlung in Geddington nahm Balduin, der Erzbischof von Canterbury – auch er ein ehemaliger Zisterzienser-Abt – selbst das Kreuz und führte anschließend die Anwerbungskampagne an. Er unternahm eine ausgedehnte Reise durch Wales, um dort überall die Botschaft zu verbreiten und gleichzeitig die angevinische Autorität in diesem halbunabhängigen Gebiet wieder zu stabilisieren; bis zum Ende seiner Rundreise hatte er 3000 Waliser für den Kreuzzug gewonnen, »geübt im Gebrauch von Bogen und Lanze«. 5
[403] Seit dieser Zeit scheint die Aktivität der Kreuzfahrer eine eindeutige Bezeichnung zu haben, aber es ist nicht auszumachen, ob das nun in Folge der strafferen Organisation geschah oder ob es schlicht ein Nebenprodukt des Wiedererkennungseffekts war, der sich mit den Jahren verstärkte. Kreuzfahrer wurden zuvor als »Pilger«, »Reisende« oder »Soldaten Christi« bezeichnet; nun taucht in den Dokumenten zum ersten Mal cruce signatus (mit dem Kreuz gekennzeichnet) auf – aus diesem Wort entwickelten sich dann die Begriffe »Kreuzzug« und »Kreuzfahrer«.
Der Aufruf zum dritten Kreuzzug wurde auch unter den Laien verbreitet. Im Lauf des 12. Jahrhunderts spielten die Troubadoure (höfische, oft adlige Sänger und Dichter) in Adelskreisen eine immer wichtigere Rolle, und es begannen sich allmählich – vor allem in Südfrankreich – die Vorstellungen vom höfischen Leben und von den Tugenden der Ritterlichkeit auszuprägen. 40 Jahre zuvor hatten sich erstmals aus Anlass des zweiten Kreuzzugs höfische Dichter zu Wort gemeldet. Nach 1187 entstand – ausgehend von der Botschaft der Bulle »Audita tremendi«, sie teilweise auch weiterführend – ein wahrer Strom von Troubadour-Liedern über den bevorstehenden heiligen Krieg.
Conon de Bethune, ein Ritter aus der Picardie, der am dritten Kreuzzug teilnahm, komponierte zwischen 1188 und 1189 ein solches Lied. Es klangen darin bekannte Themen an – die Klage über den Verlust des Wahren Kreuzes; die Feststellung, dass »jeder niedergeschlagen und voller Kummer sein sollte«. An anderer Stelle hebt er die Begriffe Schande und Verpflichtung hervor: »Nun werden wir sehen, wer wirklich tapfer ist, [. . .] und wenn wir unseren Todfeinden erlauben, [im Heiligen Land] zu bleiben, dann werden wir uns den Rest unseres Lebens schämen müssen«; er fügt hinzu, keiner, der »gesund, jung und reich« sei, »kann zurückbleiben, ohne sich mit Schande zu bedecken«. Das Heilige Land wurde als Gottes Erbschaft und als sein Herrschaftsbereich dargestellt, der in höchster Gefahr sei. Und in derselben Weise, wie ein Vasall verpflichtet ist, Land und Eigentum seines Herrn zu beschützen, so sollten Christen als Diener Gottes sich nun eilends auf den Weg machen, um Gottes geheiligtes Land zu verteidigen. 6
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