Die Kreuzzüge
Orient. Unter fränkischer Herrschaft stieg die Stadt zur wichtigen Königsresidenz auf – eine quirlige kosmopolitische Handelsmetropole und der wichtigste Ankunftshafen für die lateinischen Pilger, die das Heilige [432] Land besuchten. Im Jahr 1184 beschrieb ein muslimischer Reisender die Stadt als »einen Anlaufhafen für alle Schiffe«. »Die Straßen und Wege dort sind von dem Menschengedränge ganz verstopft, man bekommt kaum einen Fuß auf den Boden«, und er fährt fort: »Die Stadt stinkt und ist schmutzig, überall liegen Abfälle und Exkremente herum.«
Akkon war auf einem dreieckigen, ins Mittelmeer ragenden Vorgebirge erbaut und von einer quadratischen Festungsmauer umgeben. Ein Kreuzfahrer schrieb später, dass »mehr als ein Drittel seiner Außengrenze, in Richtung Süden und in den Westen, von Wellen eingeschlossen ist«. Im Nordosten, im Landesinnern, liefen die Befestigungsmauern auf eine größere Festung zu, den sogenannten verfluchten Turm, da hier angeblich »die Silberlinge hergestellt wurden, für die der verräterische Judas den Herrn verkauft hatte«. In der südöstlichen Ecke der Stadt erstreckten sich die Stadtmauern ins Meer hinaus und umfassten eine kleine, abgetrennte innere Anlegestelle sowie ein äußeres Hafenbecken. Schützend eingefasst wurde die Hafenanlage durch eine massive, in Nord-Süd-Richtung erbaute Mauer, die auf einem aus dem Meer ragenden Felsen endete. Darauf erhob sich eine kleine Festungsanlage, Turm der Fliegen genannt. Die Stadt lag am nördlichen Ende einer ausgedehnten Bucht, die sich in Richtung Süden auf Haifa und zum Berg Karmel öffnete, dahinter erstreckte sich über eine Länge von 30 Kilometern und 2 bis 6 Kilometer landeinwärts eine relativ flache, offene Küstenebene. Ungefähr 2 Kilometer südlich des Hafens von Akkon mündete der seichte Fluss Belus ins Meer.
Die Stadt bildete nun das Tor zu Palästina – eine Bastion gegen jegliche christliche Invasion aus dem Norden, sei es vom Land oder vom Meer her. Hier sollten sich der Islam und das Christentum in einer der erbittertsten Belagerungen der Kreuzzüge ineinander verbeißen, und Saladins Belastbarkeit, sein kriegerisches Genie und seine Dschihad-Qualitäten wurden auf eine extrem harte Probe gestellt. 7
Erste Zusammenstöße
Als König Guido vor Akkon ankam, waren seine Aussichten sehr düster. Ein fränkischer Zeitgenosse kommentierte, er habe seine dürftige Streitmacht »zwischen Hammer und Amboss« aufgestellt; ein anderer meinte, es wäre ein Wunder, wenn er das überstehen sollte. Nicht einmal die [433] muslimische Garnison zeigte sich beeindruckt, vielmehr johlten die Soldaten von den Festungsmauern von Akkon herunter, als sie der »Handvoll Christen« ansichtig wurden, die da ihren König begleiteten. Guido jedoch stellte umgehend unter Beweis, dass seine Kompetenz in Strategiefragen mittlerweile zugenommen hatte; nachts, im Schutz der Dunkelheit, hatte er das Feld auskundschaften lassen und bezog dann auf dem rund 700 Meter hohen befestigten Berg Toron Stellung. Dieser erhob sich gut einen Kilometer östlich der Stadt und bot den Franken ein wenig natürlichen Schutz sowie einen strategisch wichtigen Ausblick über die Ebene von Akkon. Innerhalb weniger Tage traf eine Gruppe von Schiffen aus Pisa ein. Trotz der zermürbenden Belagerung, die bevorstand, hatten viele italienische Kreuzfahrer ihre Familien mit ins Heilige Land genommen. Diese kühnen Männer, Frauen und Kinder gingen am Strand südlich von Akkon an Land und schlugen dort ihr Lager auf. 8
Das gemächliche Tempo, mit dem Saladin sich auf die Küste zubewegte, hatte verheerende Folgen. Guidos Truppen waren an Zahl klar unterlegen, sein Standort war extrem exponiert, daher riskierte er einen sofortigen Frontalangriff auf die Stadt, obwohl ihm bis zu diesem Augenblick noch kein Katapult oder andere Belagerungsmaschinen zur Verfügung standen. Am 31. August griffen die Lateiner an, sie bestiegen die Mauern mit Leitern, schützten sich nur mit ihren Schilden, und womöglich hätten sie die Mauern sogar stürmen können, wenn nicht die Kundschafter der Vorhut des Sultans in der Ebene aufgetaucht wären, woraufhin sich die Franken in panischem Schrecken zurückzogen. In den nächsten Tagen traf dann Saladin mit dem restlichen Heer ein, und die Hoffnungen der Lateiner, eine schnelle Kapitulation von Akkon erzwingen zu können, lösten sich in Luft auf; stattdessen mussten sie nun einen Zweifrontenkrieg befürchten und die
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