Die Kreuzzüge
umfangreiche Vorausabteilung aus den Heeren der Könige von Frankreich und von England. Der wichtigste Mann dieser Gruppe war Heinrich II. von Champagne, Graf von Troyes, ein Neffe sowohl Richards I. als auch Philipp II. Augusts. Heinrich erreichte Akkon im August, begleitet von seinen Onkeln: Theobald V. Graf von Blois, und Stephan, Graf von Sancerre; er brachte 10 000 Kämpfer mit und übernahm unverzüglich das militärische Oberkommando für die Belagerung. Eine große Gruppe englischer Kreuzfahrer traf Ende September ein, angeführt wurde sie von Erzbischof Balduin von Canterbury, von dem vortrefflichen Hubert Walter, Bischof von Salisbury, und von Huberts Onkel, Ranulf von Glanville; er hatte früher zum engsten Beraterkreis Heinrichs II. gehört.
Trotz des weiteren Zustroms von Kreuzfahrern aus dem Westen hätte Saladin in der langen Kampfsaison des Jahres 1190 eigentlich über so viele Männer verfügen müssen, dass er den christlichen Belagerern ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen gewesen wäre. Ein Faktor schränkte jedoch seinen Handlungsspielraum empfindlich ein: die zu erwartende Ankunft der deutschen Kreuzfahrer. Schon im Herbst 1189 hatte Saladin erfahren, dass Kaiser Friedrich Barbarossa an der Spitze einer Viertelmillion Kreuzfahrer ins Heilige Land unterwegs war – Nachrichten, die natürlich »den Sultan sehr beunruhigten und ihn mit großer Sorge erfüllten«. Die Bedrohung durch solch ein Riesenheer war der Grund, warum der Sultan von April bis September nie seine gesamten militärischen Ressourcen und seine strategischen Überlegungen ausschließlich auf Akkon konzentrieren konnte. Er war überzeugt, die kaiserlichen Truppen würden sich wie eine unaufhaltsame Flutwelle durch Syrien und den Libanon wälzen, und bereitete sich auf einen schwierigen Zweifrontenkrieg vor. Praktisch unmittelbar, nachdem die Truppen des Sultans in Akkon eingetroffen [449] waren, schickte er sie auch schon wieder weg, damit sie im Norden des Landes die Verteidungslinien verstärkten. Ortschaften im Landesinnern erhielten die Anweisung, für den Belagerungsfall ihre Ernten einzulagern, und entlang der Küste sollten Städte wie Latakia und Beirut, die keine Chance hatten, dem Kaiser Widerstand zu leisten, ihre Mauern schleifen, damit sie nicht in lateinische Festungen verwandelt werden konnten. Diese Maßnahmen waren unter strategischen Gesichtspunkten vollkommen sinnvoll – doch sie hatten, indem sie eine massive Umverteilung der Ressourcen erforderlich machten, die Nebenwirkung, dass sie die Anstrengungen der Muslime in Akkon empfindlich einschränkten. 19
Solcherart geschwächt und abgelenkt blieb dem Sultan nichts anderes übrig, als die Verteidigung von Akkon seinerseits eher defensiv anzugehen. Er konnte hoffen, die fränkischen Versuche einer Einnahme der Stadt zu vereiteln, aber irgendwelche Pläne, die Belagerer konzentriert anzugreifen und zu vernichten, mussten wieder aufgegeben werden. Anfang Mai hatte der Sultan die Front wieder aufgestellt, mit der er die Kreuzfahrer zwischen seinem Heer und den Mauern von Akkon einschloss. So konnte er auf Angriffe der Christen auf die Stadt immer sehr direkt mit Gegenangriffen reagieren und zwang seinerseits den Kreuzfahrern einen kräftezehrenden Zweifrontenkrieg auf. Gleichzeitig versuchte er, mit Qaragush und seiner Garnison in Kontakt zu bleiben, aber das war schwierig, weil die Stadt sowohl vom Land wie vom Meer her blockiert wurde. Brieftauben gehörten zu den wichtigsten Vermittlern im Kommunikations- und Spionagenetz, das das ausgedehnte ajjubidische Reich überspannte, doch in Akkon scheinen sie nur eine begrenzte Rolle gespielt zu haben, wahrscheinlich, weil sie ein zu einfaches Ziel für feindliche Bogenschützen abgaben. Saladin stützte sich daher hier vorwiegend auf eine Gruppe geschickter, mutiger Kuriere, die im Schutz der Dunkelheit versuchten, schwimmend Akkons inneren Hafen zu erreichen. In Taschen aus Otterhaut führten sie Briefe, Geld, ja sogar Behälter mit griechischem Feuer mit sich. Aber das war ein gefährlicher Auftrag. Es gab einen erfahrenen Schwimmer namens Isa, der in der Lage war, »unter einem feindlichen Schiff hindurchzutauchen und an der anderen Seite wieder hochzukommen«. Isa verschwand bei einem Einsatz und wurde wenige Tage später tot im Hafen angespült, und die Dinge, die er überbringen sollte – Nachrichten und Gold –, waren noch immer fest um seine Hüften geschlungen. 20
[450] Im Jahr 1190 hatte Saladin es ganz
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