Die Kreuzzüge
al-Adil, und zumindest zu Beginn scheinen die Franken von diesem Kontakt nichts gewusst zu haben. Teilweise hatte den König wohl ein Gerücht veranlasst, Verhandlungen aufzunehmen: dass nämlich Konrad von Montferrat seinerseits auf eigene Faust mit Saladin in Gespräche eingetreten sei. Wie immer deutete die Bereitschaft Richards, mit dem Feind mögliche Wege zum Frieden zu erörtern, nicht auf irgendwelche pazifistischen Tendenzen der Konfliktvermeidung hin. Verhandeln war eine Waffe im Krieg: Es war nicht ausgeschlossen, dass mit ihr eine Einigung erzielt werden konnte, wenn sie mit militärischer Offensive kombiniert wurde; man konnte sicher sein, mit dem Mittel der Verhandlung entscheidende Erkenntnisse zu gewinnen; und, was in dieser Phase des Kreuzzugs entscheidend war, Verhandlungen eröffneten die Möglichkeit, innerhalb der Reihen des Islams Zwietracht zu säen.
Noch vor seinem Aufbruch von Jaffa begann Richard zwischen dem 18. und dem 23. Oktober mehrere intensive Gespräche mit al-Adil zu führen. Zunächst wollte er das Verhältnis seines Feindes zu Jerusalem erkunden und herausfinden, inwieweit die Möglichkeit bestand, dass Saladin auf die Stadt verzichtete, die, wie Richard ganz unverblümt feststellte, »der Mittelpunkt unseres Glaubens ist, auf den wir niemals verzichten werden, selbst wenn nur noch ein letzter Mann übrig ist«. Al-Adil überbrachte eine nahezu gleichlautende Antwort vom Sultan, der betonte, Jerusalem werde vom Islam als Heiligtum verehrt, und er legte dem König nahe, »nicht zu glauben, dass wir sie aufgeben werden, denn von einer [520] solchen Absicht könnten wir unter den Muslimen nicht ein Wort verlauten lassen«.
Und dann nahm Richard einen kühnen Richtungswechsel vor, der damals seine Gegner überraschte und die Historiker bis auf den heutigen Tag irritiert. Der König hatte schon zuvor besonderen Wert darauf gelegt, mit al-Adil eine freundschaftliche Beziehung zu pflegen; im Gespräch bezeichnete er ihn als »mein Bruder und mein Freund«. Nun ging er noch einen bedeutenden Schritt weiter: Er schlug eine außergewöhnliche eheliche Verbindung zwischen der lateinischen Christenheit und dem Islam vor, nämlich die Heirat al-Adils mit Richards Schwester Johanna. Dieser Ehebund sollte dann die Grundlage für ein Friedensabkommen bilden, in dem »der Sultan al-Adil sämtliche Küstenstriche überlassen sollte, die sich in seiner Hand befanden, und ihn zum König von [Palästina] machen« sollte, und Jerusalem würde dann »als Regierungssitz des Reiches [des königlichen Paares]« dienen. Dieses neue politische Gebilde sollte Teil von Saladins Reich bleiben, Christen sollten jedoch freien Zugang zur Heiligen Stadt haben. Al-Adil und Johanna sollten über die Burgen der Region herrschen, während die christlichen Ritterorden die Kontrolle über die Dörfer erhielten. Durch den Austausch von Gefangenen und die Rückgabe des Wahren Kreuzes sollte das Abkommen besiegelt werden. Mit einer Geste der Großherzigkeit verkündete Richard Löwenherz, mit der Besiegelung dieses Vertrags sei der Kreuzzug sofort beendet, und die Kreuzfahrer würden in ihre Heimat zurückkehren.
Da dieses Angebot in keiner der auf uns gekommenen zeitgenössischen christlichen Quellen erwähnt wird (nur in arabischen Texten ist davon die Rede), ist schwer einzuschätzen, wie Richards fränkische Landsleute auf ein derart unerhörtes Arrangement reagierten. Der König scheint die ganze Angelegenheit streng geheim gehalten zu haben, zu Beginn sogar vor seiner Schwester, und ob er die ganze Idee tatsächlich ernst nahm oder nur als Köder verwendete, bleibt völlig offen. Fest steht, dass al-Adil darin ein aufrichtiges Angebot sah. Richards Vorschlag war ein diplomatisches Meisterwerk. Er wusste um die potentiellen Spannungen zwischen Saladin und al-Adil: Letzterer genoss zwar die Stellung des vertrauten Bruders, doch zugleich konnte er eine Bedrohung für den Sohn und Erben des Sultans sein, was das Vertrauen etwas einschränkte. Richard hatte al-Adil also ein Angebot unterbreitet, das dieser zwar nicht ignorieren konnte, das ihm allerdings auch den Vorwurf eintragen [521] musste, persönliche Ziele zu verfolgen. Al-Adil war sich dieses Aspekts nur zu bewusst und weigerte sich daher, seinem Bruder diesen Plan persönlich zu unterbreiten; stattdessen schickte er Baha ad-Din und gebot ihm, die Sache nur ganz taktvoll vorzutragen.
Saladin stimmte den Bedingungen tatsächlich zu, obwohl er möglicherweise
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