Die Kreuzzüge
der Gewandtheit eines Jongleurs gestaltete der Sultan die Verhandlungen mit Richard und Konrad: Er ging so weit, ihre jeweiligen Gesandten am gleichen Tag in verschiedenen Teilen seines Lagers unterzubringen, und [523] zielte eigentlich, mit den Worten von einem seiner Berater, nur darauf, »zwischen ihnen Zwietracht zu säen«.
Am 11. November dann – die Kreuzfahrer bedrohten nun Ramla – war Saladin bereit, sich auf ernsthafte Gespräche einzulassen. Er versammelte seine Berater, um zu erwägen, ob es ratsamer war, mit Konrad oder mit Richard einen Waffenstillstand auszuhandeln. Der Graf war zwar inzwischen sehr einflussreich – er wurde mittlerweile von einem großen Teil des ehemaligen lateinischen Königreichs unterstützt –, aber im Grunde hielt man ihn für weniger zuverlässig als den König. Die Berater sprachen sich für ein Abkommen mit diesem aus, das auf einer gerechten Teilung von Palästina beruhen sollte. Es umfasste die Eheschließung al-Adils mit Johanna, und christliche Priester sollten Zutritt zu den »Heiligtümern und Kirchen Jerusalems« haben. Dann jedoch reagierte Richard auf dieses sehr beachtliche Angebot mit Ausflüchten – möglicherweise aufgrund des Eindrucks, er habe Saladin nun in die Enge getrieben. Damit der Ehebund zustande kommen könne, so sein Einwand, müsse der Papst seinen Segen geben, und das werde drei Monate dauern. Noch während diese Botschaft überbracht wurde, sammelte Richard seine Truppen und rückte in Richtung Ramla vor. 7
DIE EINNAHME DER HEILIGEN STADT
Anfang November 1191 waren die Arbeiten der erneuten Befestigung der Region um Yasur abgeschlossen. Richard tat den nächsten Schritt in Richtung Jerusalem am 15. November, indem er das Heer der Kreuzfahrer auf eine Position zwischen Lydda und Ramla vorrücken ließ. Saladin wich vor ihm zurück; die beiden Siedlungen überließ er, nachdem er ihre Wehranlagen zerstört hatte, den Franken. In den nun folgenden Wochen zog er sich zuerst nach Latrun zurück und dann, um den 12. Dezember herum, nahm er Zuflucht in Jerusalem selbst. Obwohl muslimische Truppen auch in dieser Phase die Lateiner wie zuvor mit kleineren Gefechten behelligten, konnte man nun mit gewissem Recht sagen, dass der kurze Weg zu den Toren der Heiligen Stadt frei war.
Aber noch während Richards Truppen damit zu tun hatten, Ramla eilig wieder aufzubauen, stand dieser einem neuen Feind gegenüber: Der Winter brach ein. Auf der offenen Ebene brachte der Winteranfang [524] einen grimmigen Wetterumschwung. Regenströme prasselten hernieder, es wurde viel kälter, und die Kreuzfahrer mussten sechs erbärmliche Wochen damit zubringen, Nahrungsmittel- und Waffenlager in Ramla anzulegen und die Nachschubverbindung nach Jaffa zu sichern, bevor sie sich langsam auf Latrun zubewegten und dann, kurz nach Weihnachten, weiter zur Ruine einer kleinen Festung in der Nähe von Beit Nuba, am Fuß der judäischen Berge. Jetzt waren sie nur noch 18 Kilometer von Jerusalem entfernt.
Die Zustände im Heer in jenem Dezember waren grauenhaft. Ein Augenzeuge schrieb:
Es war kalt und trübe [. . .]. Regen und Hagel setzten uns zu und ließen unsere Zelte einstürzen. Wir verloren an Weihnachten und davor und danach sehr viele Pferde, der Zwieback wurde matschig, Mengen von Salzfleisch verdarben in den Stürmen; Halsberge rosteten, so dass man sie kaum mehr reinigen konnte; Kleider zerfielen; die Leute litten unter der schlechten Ernährung, und sie waren in großer Bedrängnis.
Und dennoch war nach übereinstimmenden Zeugnissen die Stimmung unter den einfachen Soldaten nicht schlecht. Nach monate-, manchmal sogar jahrelangen Strapazen hatten sie ihr Ziel nun direkt vor Augen. »Sie fühlten eine unbeschreibliche Sehnsucht, die Stadt Jerusalem zu sehen und ihre Pilgerreise zu vollenden«, so ein lateinischer Zeitgenosse, und ein Kreuzfahrer erinnert sich, dass bei den Truppen »niemand zornig oder traurig« gewesen sei; »überall herrschte Freude und Glück, und man sagte einhellig: ›Gott, nun sind wir, geführt von Deinem Erbarmen, auf dem richtigen Weg.‹« Trotz aller Qualen eines Winterfeldzugs waren sie offenbar von ungebrochener Begeisterung für den heiligen Krieg beseelt. Wie ihre Vorfahren beim ersten Kreuzzug, damals im Jahr 1099, waren sie nun nicht nur bereit, sondern lechzten geradezu danach, die Heilige Stadt zu belagern, welche Risiken und Entbehrungen auch damit verbunden sein mochten. 8
Allerdings blieb es fraglich, ob König Richard
Weitere Kostenlose Bücher